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Unsere Bilder aus Chemnitz: AfD an der Seite von Neonazis

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Am Samstag ist die AfD in Chemnitz Seite an Seite mit Rechtsextremen aufmarschiert. Ständig grölte die rassistische Menschenmenge „Lügenpresse, Lügenpresse“ – schließlich kam es zu massiven Angriffen auf Journalist*innen. Unsere Bilder aus Chemnitz.

 

Von Zamira Alshater

 

Am Samstag, den 1. September, ist wieder ein rechtsextremer Mob durch Chemnitz gezogen. Zunächst fand um 16 Uhr eine Kundgebung am Karl-Marx-Denkmal der örtlichen rechtsextremen Wählervereinigung „Pro Chemnitz“ statt. Die Verantwortlichen brachen ihre Kundgebung allerdings vorzeitig ab, um zum wenige Meter entfernten Parteibüro der AfD zu gehen. Von dort hatten AfD und Pegida ab 17.30 zu einem angeblichen „Trauermarsch“ mobilisiert. Vor rund einer Woche kam der Chemnitzer Daniel H. ums Leben. Rechtsextreme missbrauchen seither diesen tragischen Fall für ihre Zwecke, um Ängste in der Bevölkerung vor Migrant*innen zu schüren. Und so machte sich eine Menschenmenge an 1.500 Aufgepeitschten auf den Weg zum AfD-Büro in der Theaterstraße.

Zwar hatten AfD und Pegida explizit darauf hingewiesen, dass die Teilnehmer*innen einheitlich in dunkler Trauer-Bekleidung erscheinen sollten, doch daran hielten sich die wenigsten. Einige Teilnehmer*innen trugen Kleidung bekannter Neonazi-Marken, NS-verherrlichende Pullover, einer trug ein abgewandeltes Hakenkreuz als Kette (die Polizei meinte allerdings dies sei nicht strafrechtlich relevant), einer hatte einen Pullover des „Schild & Schwert“-Festivals (SS-Festival), dass im April von NDP-Kader Thorsten Heise organisiert wurde. Mindestens ein Teilnehmer trug ein Shirt, auf dem er seine Solidarität mit der verurteilten Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck zum Ausdruck brachte. Einige der Teilnehmer*innen waren vor zwei Wochen bereits beim NS-verherlichenden Rudolf Heß-„Gedenkmarsch" in Berlin mit marschiert.

In der Theaterstraße, wo sich nun über 5.000 Menschen versammelt hatten, wurde die Stimmung dann nach und nach aggressiver. Der Beginn der Demonstration wurde immer wieder verschoben. Erst gegen 18 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung, weitestgehend schweigend. Am Rande dieses angeblichen „Trauermarsches“ kam es zu einem Zusammenstoß zwischen einigen vom linken „schwarzen Block“ und aggressiven Rechtsextremen. Es flogen Flaschen und Stühle. Als die Polizei die Situation unter ihre Kontrolle bringen konnte, wurden Gegendemonstrant*innen von der Polizei bis spät in die Nacht eingekesselt.

Als der braune Mob, mit Björn Höcke und weiteren AfD-Kadern in den ersten Reihen, schließlich am Karl-Marx-Denkmal angelangt war, wurde ihnen der Weg hin zum Tatort, an dem Daniel H. verstarb, untersagt. Es wären nur noch wenige Meter bis dorthin. Auf der anderen Seite des Tatorts fand die Gegendemo „Herz statt Hetze“ mit rund 3.500 Menschen statt, zu der ein breites Bündnis aus der Zivilgesellschaft aufgerufen hatte. Auf der Straße stellten einige von ihnen nachgebastelte Grundgesetze zu einer symbolischen Blockade auf.

 

Massive Angriffe auf Journalist*innen

Als die Verantwortlichen schließlich verkündeten, dass man nicht zum Tatort gehen werde, sondern zurück zum AfD-Parteibüro und die Demonstration für beendet erklärte, schäumte die Menge und versuchte. an der Polizeikette vorbeizukommen. Die meisten AfD-Politiker*innen machten sich zu diesem Zeitpunkt schleunigst aus dem Staub – schließlich sollten, nach dieser Inszenierung, keine negativen Bilder mit ihnen entstehen. Nun wurde die Situation vollends unübersichtlich. Einigen Rechtsextremen gelang es, hinter die Polizeikette zu kommen. Da keine Gegendemonstrant*innen in Sicht waren, entlud sich die ganze Wut und Aggression an den anwesenden Journalisten. Es kam zu massiven Angriffen auf Berichterstatter*innen – auch unser Team wurde massiv von einer rechtsextremen Kampfsport-Gruppe eingeschüchtert. Auch als wir Polizeibeamt*innen darauf hinwiesen, dass wir so nicht mehr unsere Arbeit machen können, wurden keine Maßnahmen zum Schutz der Journalist*innen getroffen. 

Obwohl ein Wasserwerfer vorfuhr (der allerdings nicht zum Einsatz kam), drängte der rechtsextreme Mob immer weiter in Richtung Tatort. Die Polizei forderte die Menge mehrfach auf, sich auf den Heimweg zu machen. Schließlich ließen sie jedoch vereinzelte Personen aus der Absperrung durch. Und so versammelte sich schließlich doch eine recht große Gruppe am Tatort, wo sie abermals, angeblich trauernd, Pegida-Parolen anstimmte und abermals "Lügenpresse, Lügenpresse" skandierte.

Am Abend wurde ein 20-jähriger Afghane von vier vermummten Personen angegriffen. #AfDwirkt

 

Unsere Bilder aus Chemnitz

 

Chemnitz: "Pro Chemnitz" und AfD Kundgebung am 01.09.2018

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Chemnitz: Klagen allein reicht nicht!

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Gegenproteste wie hier in Chemnitz sind wichtig, strukturelle politische Veränderungen aber auch zwingend: Die demokratische Gesellschaft muss jetzt ihre Werte verteidigen.
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BTN/AAS

Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, analysiert die Ereignisse um Chemnitz: Hier offenbart sich, wie weit das Projekt der rechten Sphäre gekommen ist, die nationalrevolutionäre und die sich bürgerlich gebende Rechte unter dem Banner von Rassismus und Demokratiefeindlichkeit zu vereinen. Nun ist erst recht die Zeit gekommen, für Menschenrechte und Demokratie aktiv zu werden.

 

Von Anetta Kahane

 

Nach den rechtsextremen Aufmärschen in Chemnitz, die den Todschlag eines Mannes durch einen Flüchtling für ihre inszenierte „Wut“ missbrauchten, macht sich eine große Ratlosigkeit breit. Viele Engagierte sind verunsichert, manche wanken in ihren Haltungen, einige fragen sich, wie sie unter diesen Umständen weitermachen sollen. Die Rechten träumen derweil vom Umsturz. Sie vereinigen sich mit den waschechten Nazis, schreien ihre Gewaltfantasien lauthals durch die Straßen und die sozialen Medien. Dazwischen irren sogenannte „normale“ oder „besorgte“ Bürger umher, verkünden ihre Ressentiments und Rassismen in jede Kamera und beschuldigen wer-weiß-wen für alles, was ihnen je widerfahren ist. Die Reaktion der Landesregierung ist schwach bis vage, sie zeigt jedenfalls weit mehr Verständnis für jeglichen Rassismus als dass sie deren Betroffene zu schützen bereit ist. So sieht es gerade aus.

 

Nicht verhandelbar

Über viele Jahre wurde der Boden bereitet für das, was sich jetzt an Gewalt und Hass äußert. Rassismus und Antisemitismus brutal zu übersehen, rechte Strukturen zu ignorieren, Nazis als „unsere Jungs“ zu verharmlosen und alle Demokraten, die daran Anstoß fanden, als linksextrem zu diffamieren, das ist Alltag in dieser Region der Welt. So lange und so sehr, dass heute der Ungeist offen rechtsextremen Denkens und Handelns kaum noch in die Flasche zurückzuholen ist. Da, wo die Norm sich derart verschiebt, erscheinen Aussagen und Forderungen verhandelbar, die es in weniger rechtsextrem aufgeladenen Gegenden unter keinen Umständen wären. Nach den Naziaufmärschen in Chemnitz aber braucht es wieder Klarheit.

An einer Stelle der Stadt haben demokratische Gegendemonstranten eine Barriere aus aufgestellten Exemplaren des Grundgesetzes errichtet. Ein Symbol, gewiss. Dennoch ist das genau das die richtige Antwort. In der Verfassung sind die Grundrechte und die Menschenrechte unter keinen Umständen verhandelbar. Sie alle sind dort klar aufgeschrieben. Daran gibt es keinen Millimeter Abstriche. Gleichwertigkeit jeder Person, grundlegende Würde, Gleichberechtigung, Diskriminierungsverbot – um nur einige zu nennen. Hieran ist nichts zu verhandeln. Jeder Mensch hat Rechte, die von der Verfassung geschützt werden, ob er  nun deutscher Staatsbürgerin ist oder nicht. Und dieser Schutz, so wie die Strafverfolgung im Falle einer Straftat, obliegt dem Staat. Niemandem sonst. Rassismus ist nicht hinnehmbar, nicht entschuldbar, nicht nachvollziehbar. Es kann nicht sein, dass Deutsche mit Verweis auf irgendein soziales oder sonstiges Problem, quasi automatisch mit Rassismus reagieren und das auch noch als legitim hingenommen wird.

Das Muster erklärt sich aus den Geschichtsbüchern über die Wahlerfolge der NSdAP 1933. Es hieß, die Arbeitslosigkeit nach der Weltwirtschaftskrise hätte eben die Nazis hervorgebracht. Diese dumme und verkürzte Rechtfertigung wirkt bis in die Gegenwart. In den 1990er Jahren lautete die Argumentation genauso. Damals war es auch die Arbeitslosigkeit, die den Hass auf „Nichtdeutschaussehende“ begründete, dann war es die Globalisierungsangst, dann die Flüchtlinge, dann die Diskussion um Rassismus, dann das „Sachsenbashing“ oder sonst irgendwas. Alles nach dem Motto: „Kein Wunder, wenn dadurch der Hass noch wächst!“ Inzwischen trifft der Hass die Demokratie selbst, ihre Vertreter und alle, die das Grundgesetzt hochhalten oder es als Barriere gegen Nazis auf die Straße stellen. Das ist frustrierend, beängstigend, ein Kampf gegen Windmühlen im Alltag der Initiativen. Doch nicht verhandelbar. Nicht verhandelbar!

 

Was neu ist

Die Bilder aus Chemnitz haben eines deutlich gemacht: Wir haben es seit diesen Aufmärschen mit einer neuen, vereinigten Rechten zu tun. Das ist neu. Das ist gefährlich. Und das hat eine Vorgeschichte.

Wer genau hingeschaut hat, wie sich die rechtsextreme Szene seit der Wende entwickelte, konnte ihre Spezifik im Osten gut erkennen. Gewiss, es gab auch Neo-Nazis im Westen, die nach der Maueröffnung mit den Ost-Nazis schneller zusammenfanden und die „Einheit vollendeten“, als es die Demokraten je konnten. Dennoch blieb die ostdeutsche Spezifik der Naziszene bestehen. Sie glichen mehr den nationalrevolutionären Bewegungen in Osteuropa als den Wehrsportgruppen irgendwo im tiefen Westen oder gar den Nazi-Opas der alten NPD. Der Geist der Nationalrevolutionäre war und ist nicht eine Sekunde am System orientiert, er will den totalen Umsturz, den nationalen Sozialismus. Diese ostdeutsche Bewegung organisierte sich in Kameradschaften, deren Ziel es war, eine kulturelle Hegemonie in das Nachwendevakuum zu tragen. Ganze Regionen wurden dadurch geprägt, Jugendliche sozialisiert, durch Gewalt Ausländer ferngehalten. Gesellschaft und Staat zeigten sich über ein Jahrzehnt hilflos oder weigerten sich, darin mehr zu sehen als ein Jugendproblem.

Diese informellen Strukturen wurden so erfolgreich, dass die NPD, die Partei der Altnazis und ihrer Kindeskinder, hier eine Chance sah. Die Nationalrevolutionäre im Osten boten ihnen ein Potential und eine Ideologie, wie weit radikaler war als ihre rechtsaußen Ideologie, die sich aber immer noch am Bürgerlichen orientierte. Man trug Hirschhornknöpfe am Lodenmantel und nicht Glatze in Kombination mit Totenkopf, Che Guevara-Shirt und Pali-Tuch. Nachdem sich die alte NPD nach langen Diskussionen entschlossen hatte, mit den Kameradschaften gemeinsam zu Wahlen auf Landes- und Kommunalebene anzutreten, färbte auch dies auf das Bürgerliche ab. Die Furcht vor der Unberechenbarkeit der neuen, radikalen und militanten Kameradschaften ließ nach - und trotz aller Konflikte entstand die Idee einer gemeinsamen rechten Strategie.

Dass die NPD für viele nicht wählbar erschien, änderte nichts am Erfolg der Idee. Während in Westeuropa nach und nach sogenannte Rechtspopulisten den Ton der Debatten prägten und Wahlerfolge hatten, blieb Deutschland vorerst ruhig. Deutschland stand zwischen dem nationalrevolutionären Druck aus Osteuropa und dem bürgerlichen Rechtspopulismus aus Westeuropa. Die NPD war jedoch nicht die Partei, die in Deutschland diese beiden Strömungen hätte zusammenbringen können. Dies ging mit Deutschlands Vorgeschichte nicht. Ebenso wenig konnten andere Parteien diese Rolle spielen. Ja, sie sahen nicht einmal, welche Gefahr auf sie zukam. Keine der demokratischen Parteien war bereit, das Ost-West Problem zu erkennen und anzuerkennen. Der Widerstand gegen eine solche Debatte hält ja bis heute an. Die Warnungen aus der Zivilgesellschaft standen den tagespolitischen Antworten im Wege. Auch wenn viele dieser tagespolitischen Maßnahmen gut und nützlich waren, griffen sie weder analytisch noch praktisch das Ost-West-Thema auf.

Dann erschien die AfD. Ihr Weg von der europakritischen Professorenpartei zur radikalen Sammlungsbewegung für rassistische und flüchtlingsfeindliche Einstellungen war kurz. In nur wenigen Jahren bewegte sie sich nach rechts, überwand Berührungsängste mit Rechtsextremen, ließ ab von strategischen Abgrenzungen gegenüber Pegida um schließlich - wie nun in Chemnitz zu sehen war – übergangslos mit offen rechtsextremen Gruppen zu kooperieren. Das ist ein historischer Moment. In Chemnitz hat sich gezeigt, was wir stets befürchtet haben. Bürgerliche Rechtspopulisten und radikale Nationalrevolutionäre haben zusammengefunden. Das hat auch eine Symbolwirkung für Europa. Hier vereinigen sich jene Kräfte, die zumindest zeitweise kooperieren. Ihr Ziel ist ein illiberales Europa mit allen Implikationen, die das bedeutet. Weniger Demokratie, mehr Kontrolle, weniger Gleichberechtigung, weniger Menschen- und Minderheitenrechte, mehr Homogenität, mehr Identitäres in Kultur und Bildung statt Universalismus und das alles auf einer rassistisch geprägten Grundmelodie. Der Zusammenschluss des aus dem Konservativen hervorgegangenen Rechtspopulismus und des unverhohlenen Rechtsextremismus mit seinem nationalrevolutionären Ursprung ist in der AfD denkbar geworden. Und wurde sichtbar auf den Straßen von Chemnitz.

Was wir beschreiben können

Noch ist diese Entwicklung nicht in der Tagesanalyse angekommen. Wir beschreiben die Situation in Sachen, anhand dessen, was wir täglich beobachten, denn nur so erklärt sich, was nun sichtbar geworden ist. Wir können erzählen, wie alles so geworden ist. Seit der Wende gibt es diese Berichte. Es gab sie sogar schon davor. Und es geht auch noch weiter zurück: dort, wo die Nationalsozialisten als Erstes gewonnen, gejubelt und gebrandschatzt haben, sind auch heute noch die Hochburgen der braunen Gesinnung. Das ist übrigens nicht nur in Sachsen so, sondern überall im Osten. Und wer sich an dieser Stelle aufregt über die Nennung des Ostens, bitte hört auf damit. Es bringt nichts, diesen Umstand zu leugnen. Das Verleugnen, Verdrängen oder gar die Konkurrenz nach dem Motto „im Westen ist es genauso schlimm“ ist Teil des Problems. Der Osten ist anders. Daran ändert weder Lokalpatriotismus etwas noch Volksverräter-Geschrei noch die Herablassung mancher Wessis, die in den Nazis nur eine Art Ostfolklore sehen können oder gar – wie bei vielen Wagenknechtlinken – eine mediengesteuerte Ablenkung von der großen, sozialen Frage. Und die freilich nur für Deutsche. Dass es im Osten mehr Rassismus gibt, ist eine Tatsache und auf die braucht es Antworten und keine Relativierung.

Wir können auch andere Aspekte erklären. Wie beispielsweise die sozialen Medien die Hetze erleichtert haben. Wir können nachweisen, wie die neue Rechte Themen besetzt, geframt und in den Mainstream gepeitscht hat. Wir konnten beobachten, wie hilflos die Medien reagiert haben, wie sehr es zu unser aller Schaden war, dass die Kapazitäten in punkto Recherche in allen Leitmedien zunächst abgebaut worden waren. Das wenigstens ändert sich gerade wieder. Doch was noch schlimmer ist: wir mussten mitansehen, wie in Talkshows und Interviews die Rechten unwidersprochen blieben, wo gezielte, kenntnisreiche, und kluge Nachfragen nötig gewesen wären. Die hohe Kunst der ernsthaften Debatte konnte man im Umgang mit den Rechten bedauerlicherweise nur selten erleben. Dass die Rechte so Interpretations- und Stimmungshoheit gewann, ist eine der Folgen dieser mangelnden Kultur kritischer Streitkultur und Nachfrage.

 

Verdrängen hat noch nie geholfen

Wir können eines grundsätzlich sagen: Es hat noch nie, nie, niemals geholfen, Probleme oder Traumata zu verdrängen. Gewiss versuchen Menschen immer wieder, ihre Konflikte durch Verdrängung zu lösen. Doch wir wissen aus der Geschichte und der Sozialpsychologie, dass dadurch nur andere aggressive Muster entstehen, dass die Konflikte verschoben werden oder an den falschen Stellen aufbrechen. Aus Verdrängung und Verleugnung entstehen schwere Deformationen. Eines sind die in jedem Fall: eine Flucht aus der Verantwortung. Die ostdeutsche Gesellschaft ist bei allem Respekt für die vielen Ausnahmen in großen Teilen stark von dem infantilen Trieb gesteuert, immer anderen die Schuld für die eigene Situation, für eigenes Handeln oder Versagen zu geben. Wer ist schuld an der Lage in Chemnitz oder anderswo? Die Presse, Frau Merkel, das Sachsenbashing, der Westen insgesamt und natürlich die Flüchtlinge. Nein, eigentlich alle Migranten. Oder noch krasser: die Tatsache, dass es überhaupt Migranten in Sachsen und in Deutschland gibt.

Die aufgebrachten Bürger gehören einer Generation an, die gewiss viel mitgemacht hat, aber es sind nicht die ganz Armen. Es sind die Kleinbürger mit ihrem Sozialneid, mit dem herzlichen Wunsch nach Ruhe und Ordnung, der schon dadurch gestört wird, dass nach 22 Uhr noch Kaffeehauslärm zu hören ist. Die gleiche Wut gilt allen, die sich nicht „anständig“ zu benehmen wissen, umso schlimmer wenn die auch noch eine Hautfarbe haben, die nicht in die Norm dieser Wutbürger passt. Und so lautstark sich diese Leute gegen Pauschalisierung verwahren (übrigens eines der ersten gut gelernten Fremdwörter nach der Wende), so hysterisch verteidigen sie ihr Recht auf Stereotypisierung mit eingeschlossenem Rassismus gegen alle anderen. Nichts tun, nur ein großes „weg damit“, ob nun Frau Merkel gemeint ist oder alle, die wie Migranten aussehen. Sonst nichts. Das ist infantil.

Sachsen ist hier ein ganz besonderer Vorreiter in Sachen Schuldige suchen und Verdrängen, denn bereits Kurt Biedenkopf hatte den Sachsen bescheinigt, dass sie gegen Rechtsextremismus immun seien. Er behauptete das umso hartnäckiger, je häufiger die Realität ihn eines Besseren hätte belehren müssen. Er gab das Muster vor und wer dem in den Jahren danach nicht folgen mochte, hatte kaum eine Chance auf eine politische Karriere im Freistaat. Leugnen, verdrängen und das auf Kosten derer, die Opfer von Rassismus wurden. Mit der DDR-Vorgeschichte wurde ähnlich verfahren. Der Nationalsozialismus und die DDR im Vergleich mündeten in der Formel Braun gleich Rot ohne jeden Kontext. So wurde man gleich beide Menetekel los, die NS-Vorgeschichte in Sachsen und ihre ambivalente Verwandlung im nachfolgenden Sozialismus, der zwar antifaschistisch sein wollte, am Ende aber genau daran scheitern musste. Denn ja, es gab Nazis in der DDR. Integrierte Mitläufer in den Parteistrukturen, einige Verurteilte in den Gefängnissen und dann noch die echten Neonazis in den Jugendclubs, einigen Strukturen wie der GST und die auf der Straße. Sie waren es, die schon zu DDR-Zeiten Ausländer jagten. Soweit es möglich war, sind heute etliche Morde durch Nazis dokumentiert. Immer wieder wunderlich, wie sehr es die Menschen verwunderte, als nach der Wende „plötzlich“ die Nazis überall auftauchten. Nein, verdrängen hilft nicht. Nicht den NS, nicht die DDR, nicht die Wendemythen.

 

Die DDR mit anderen Mitteln

Machen wir uns nichts vor, die Zahl derjenigen in der DDR, die wirklich antifaschistisch dachten, war denkbar klein. Zu ihnen gehörte die Handvoll Widerstandskämpfer, die aus dem Exil nach Deutschland zurückkamen, um hier den Sozialismus aufzubauen. Es waren nur wenige. Und dann gab es noch diejenigen, die tatsächlich antifaschistisch sozialisiert wurden und guten Herzens an Besserung glaubten. Sie lasen Christa Wolfs Bücher und manche hörten heimlich Biermann. Sie wollten, dass es funktioniert, doch auch hier sahen viele über die Widersprüche hinweg. Der DDR-Gesellschaft, hervorgegangen aus der gleichen schrecklichen deutschen Geschichte, wurde mit Verweis auf den Klassenkampf jegliche Auseinandersetzung mit der eigenen Verstrickung erlassen. Verdrängen, verleugnen. Auch hier. Und der Freistaat hat dies bis heute fortgesetzt. Auf dieser Ebene verhält er sich wie die DDR mit anderen Mitteln.

Wir können auch beschreiben, was alles getan wurde, um die zivile Gesellschaft gegen das Unzivile zu stärken. Hunderte Initiativen arbeiten in Sachsen. Wir sind bei ihnen, unterstützen sie, so gut es geht, ermutigen sie, auch von der Landesregierung ausreichend respektiert und gefördert zu werden. Sie alle arbeiten tapfer gegen den Rassismus an, versuchen es mit Begegnung und Aufklärung, mit Projekten in der Jugendarbeit, der Kunst, der allgemeinen Öffentlichkeit und in den Schulen, dem wichtigsten Ort überhaupt. Die Zivilgesellschaft ist gut entwickelt in Sachsen. Aber reicht deren Schwungmasse, um den Diskurs umzusteuern? Reicht ihre Kraft und ihr Einfluss um vor Ort der Verrohung entgegenzuwirken? Was können wir tun, damit wir darauf nicht mit einem traurigen Nein antworten müssen? Es gibt Orte und Gelegenheiten, wo diese engagierten Bürger Erfolg haben. Deswegen werden wir diese Initiativen immer unterstützen. Wir werden mehr über ihre Erfolge berichten, denn in der Tat kommt diese Erzählung auch bei uns zu kurz. Das müssen wir ändern.

 

Politische Analysen stehen aus

Und es gibt noch andere Dinge, die wir besser ändern, als sie fortlaufend nur zu beschreiben. Und die haben nicht so sehr mit dem Osten zu tun. Hier geht es um zwei Dinge: die Einwanderungspolitik und die Bildungspolitik. Die Einwanderungspolitik ist eine Schande. Deutschland hat es noch immer nicht geschafft, ein vernünftiges Einwanderungsgesetz zu verabschieden. Dass die Stimmung gegen Einwanderer so vergiftet ist, liegt auch daran, dass Einwanderungsfragen mit Flüchtlingsfragen immer vermischt werden. Wenn Politik sich an Stammtischparolen orientiert und findet, dass Flüchtlinge besonders schlecht behandelt werden müssen, weil sie dadurch von der Flucht abgeschreckt würden, führt das dazu, dass nicht nur Flüchtlinge schlecht behandelt werden - und das führt wiederum dazu, das alle schlecht Behandelten zumindest einen weiteren Grund haben, sich auch schlecht zu benehmen. Die Stimmen aus Chemnitz sagen, sie wollen gar keine Ausländer. Dort wird nicht von Flüchtlingen geredet, sondern von allen Menschen, die den Sachsen nicht gefallen. Das ist rassistisch, aber eben auch eine gesamtdeutsche Tradition. Immer wenn Flüchtlinge derart politisch missbraucht werden, geht der Rassismus durch die Decke.

Rassismus darf aber keine Entschuldigung dafür sein, die Probleme der Einwanderungsgesellschaft zu ignorieren. Denn auch das wäre Verdrängung. Die Einwanderungsgesellschaft ist anstrengend. Wir hätten es leichter haben können, wenn einige der Weichenstellungen früher und besser getroffen worden wären. Als die „Gastarbeiter“ blieben und Einwanderung begann, wurde auch aus Gründen der Abwehr nicht genug getan, um sie und ihre Kinder offensiver zu erfolgreichen Bürgern in Deutschland zu machen. Jahrzehnte lavierten die Kultusminister an der Frage herum, ob und wie in die Kinder aus Einwandererfamilien investiert werden soll. Mancherorts ging etwas, an anderen Stellen nicht, aber ein großes Konzept hat gefehlt, weil Einwanderung zwar notwendig, aber nicht gewollt war. Das Diskriminierungsverbot ließ in Deutschland auch sehr, sehr lange auf sich warten. Bis dahin als es 2012 endlich verabschiedet wurde, war der sogenannte Alltagsrassismus längst zu einer Struktur geworden.

Wie kann es sein, dass in Deutschland zugesehen wurde, wie sich hier eine ethnische Schichtung entwickelt? Heute ist sie Realität: die meisten der Armen in Deutschland finden wir in migrantischen Milieus. Und das kumuliert in der Frage der Bildung. Das Schulsystem in Deutschland ist eine Schande. Hier wird viel zu wenig investiert, zu wenig in den Regelbetrieb und noch viel weniger in die soziale Durchlässigkeit. Dass Kinder aus Migrantenfamilien darüber hinaus noch mehr Unterstützung brauchen, ist hier nicht einmal eingerechnet. Kein Kind zurücklassen! Egal welcher Herkunft. Das ist das Motto der Initiative des „Quadratkilometers Bildung“, die es an vielen Orten bereits gibt. Ein Beispiel, wie es gehen kann. Wir wissen doch, wie es geht. Kinder brauchen Ermutigung und gute Schulen, sie brauchen Sprachkenntnisse und einen Blick auf ihre individuellen Bedürfnisse. Dann schaffen sie es, dann blühen sie auf, dann machen sie Abitur und können sozial aufsteigen. Alles keine Zauberei! Aber es muss gewollt werden.

Jugendliche, die nichts zu tun haben, als in ihren Wohnheimen oder auf der Straße abzuhängen, machen die blödesten und mitunter schlimmsten Sachen. Besonders, wenn ie mit den Belastungen einer Fluchterfahrung aus Syrien oder dem Irak kommen. Und ja, viele von ihnen sind von einem Menschenbild geprägt, dass keineswegs von Gleichwertigkeit geprägt ist. Da hilft auch der Hinweis darauf nichts, dass viele Sachsen oder viele Deutsche ebenso wenig die Gleichwertigkeit aller Menschen in ihren Herzen tragen. Das aufzurechnen führt nicht weiter. Besser wäre es, ihnen einen Job oder eine Ausbildung zu geben. Sich kümmern heißt, es anpacken, nicht verharmlosen, in die eine oder andere Richtung. Entweder wir wünschen uns eine Gesellschaft, die den Geist des Grundgesetzes wirklich mit Leben erfüllt, dann muss das für alle gelten. Oder wir fahren darin fort, immer nur weiter zu beschreiben, wie schlimm alles ist.

 

Was tun?

Was zu tun ist? Wir brauchen eine echte Agenda und nicht nur Erregungszustände. Darin enthalten sein müssen strukturelle politische Forderungen z.B. die nach einem guten Einwanderungsgesetz. Wir brauchen endlich eine Bildungspolitik, die einem Land wie Deutschland auch entspricht und weit besser ist, als das, was wir heute haben. Wir brauchen ein aktives Gegensteuern gegen soziale Undurchlässigkeit in den Bildungssystemen und eine gezielte Förderung von Einwanderern, damit sie selbst ohne Quote mehr als bisher Teil des sichtbaren, öffentlichen Lebens in Deutschland werden. das wäre ein Anfang. Und wenn der Staat nicht handelt, brauchen wir noch mehr Initiative aus der Zivilgesellschaft. Der Staat bewegt sich nur, wenn es hier genug Beispiele gibt und genügend Menschen, die sich einsetzen. Das hat bei den LGBTIQ* auch funktioniert. Gleichzeitig muss Rassismus, Sexismus und Antisemitismus offensiver sanktioniert werden, Ächtung allein ist zu wenig. Das gilt ebenso für alle, egal welcher Herkunft. Denn wer betroffen ist von Ungleichwertigkeitsideologien, ist keineswegs á priori ein guter Mensch. Frauen können ebenso homophob sein wie Schwule Rassisten oder Juden Sexisten oder Muslime behindertenfeindlich. Oder alles anders herum. Die Tatsache, dass jemand einer diskriminierten Minderheit angehört, mag bei den Motiven eine Rolle spielen, nicht aber bei der Bewertung jeder einzelnen Tat.

In all diesen Bereichen sollten wir uns auch verstärkt juristischen Rat holen und gegebenenfalls klagen. Alle Rechtsmittel sollten wir nutzen. Verwaltungsrecht, Strafrecht, Zivilrecht – dafür ist der Rechtsstaat da. Wo Unrecht geschieht, muss das Recht zur Geltung kommen. Dieser Weg wird von den Demokraten noch zu wenig genutzt. Die Erfahrung zeigt, dass es mit diesem Instrument gelingt, eine Beißhemmung von Rechten zu erreichen. Und sie zeigt, dass auch Verwaltungen reagieren, wenn ihnen Fehler oder Fehlverhalten nachgewiesen werden können. Solche Schritte sind mühsam, aber sie sind ebenso wichtig wie der Umgang mit den Medien. Manchmal braucht es die Medien, manchmal einen Anwalt. Und manchmal beides gleichzeitig. Die Wehrhaftigkeit der Demokraten ist längst nicht auf dem Niveau, die der Grad und die Qualität der Auseinandersetzung um die Substanz der Demokratie erfordert.

Auch das ist eine wichtige Forderung, die wir an uns selbst, die Justiz und die Öffentlichkeit stellen sollten. Dazu gehört in jedem Fall der Kontext und die Verhältnismäßigkeit in der Debatte darum. Ein ideologischer Missbrauch lässt sich nur verhindern, wenn wir immer genau sind. Wir können nur überzeugend sein, wenn wir diese Verhältnismäßigkeit selbst leben und uns für sie einsetzen. Und wir müssen unsere Geschichten nach vorne bringen. Die guten Storys, die Erfolgsgeschichten brauchen mehr Platz und wir müssen sie kennen. Denn es gibt sie alle. Mit anderen Worten: statt nur zu beschreiben, sollten wir präziser handeln. Denn alles ist besser als zu verharren. Wir sollten den Drachen zu reiten, als ihn nur von Ferne zu beschreiben und dann nur noch mehr zu fürchten.

 

Mehr zu Chemnitz auf Belltower.News:

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65.000 Menschen zeigen in Chemnitz: Wir sind viel mehr

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Liebe und Frieden und so: Bei #wirsindmehr zeigten die jugendlichen Teilnehmer*innen, dass die Kids in Deutschland alright sind. Das Empowerment muss für den beschwerlichen Demokratiearbeitsalltag in Sachsen halten.
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BTN/KA

Auch wenn Rechtsextreme ständig behaupten sie seien das Volk, bewiesen am Montagabend Zehntausende, dass wir immer noch in der deutlichen Überzahl sind. Der Abend hat aber auch gezeigt, wie schwierig die Situation in Chemnitz ist.

 

Von Kira Ayyadi

 

Über eine Woche ist es nun her, dass Daniel H. in der Innenstadt von Chemnitz erstochen wurde und Rechtsextreme dies zum Anlass nahmen um Jagd auf Migrant*innen zu machen und ein rechtsextremes Bündnis mehrere Tausend Menschen auf die Straße brachte, die Nazi-Parolen grölend durch die Stadt zogen. Chemnitz ist derzeit in einer Art Ausnahmezustand. Viele Bürger*innen sind verunsichert und wissen nicht, was sie glauben sollen. In einer Art Schockstarre wissen sie nicht, was gerade mit ihrer Stadt passiert. Auf den Straßen beäugen sich die Passant*innen kritisch.

Wenn man den braunen Mob in den vergangenen Tagen beobachtet hat, kann man es tatsächlich  mit der Angst zu tun bekommen. Auch wegen des Aufwindes, in dem sich unterschiedliche rechtsextreme Szenen wähnen. Umso toller war das Zeichen, dass Künstler*innen und viele, besonders junge Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet gestern in Chemnitz gesetzt haben. Auf dem Gratis-Konzert #wirsindmehr traten Trettmann, Feine Sahne Fischfilet, K.I.Z., Nura von SXTN, Marteria, Casper,  Die Toten Hosen und die Organisatoren, die Chemnitzer Band, Kraftklub, auf. Laut offizieller Schätzung nahmen 65.000 Menschen an dem Konzert teil und bewiesen damit, dass wir, die demokratische Zivilgesellschaft, mehr sind – viel mehr.

Und so riefen Zehntausende am Montagabend gemeinsam „Wir sind mehr“, „Alerta, Alerta, Anifascista“, oder schrien den Neonazis gemeinsam mit Campino und Rod von Die Ärzte ein „Arschloch“ entgegen. Das waren bewegende Momente, die Mut machen, besonders denen, die in Chemnitz und ganz Sachsen in ihrem alltäglichen Leben ständig dem rechtsextremen Mob widersprechen.

Nach der erfolgreichen Raumeinnahme der Rechtsextremen in den vergangenen Tagen in Chemnitz, in der es zu Angriffen auf Gegendemonstrant*innen, Journalist*innen und Migrant*innen kam, wurden die Straßen der sächsischen Stadt nun wieder von Demokrat*innen zurückerobert und besetzt. AfD und Co. wissen um die Macht der Bilder und versurchen, ihren angeblichen „Trauermarsch“ sozialmedienwirksam zu inszenieren. Doch die Bilder, die gestern aus Chemnitz ausgingen, sind stärker.

 

Was bleibt für Chemnitz?

 

Im Vorfeld des Konzerts gab es einige kritische Stimmen, die von „Party-Protesten“ unpolitischer Menschen gesprochen haben. Schließlich könnten die Menschen, die extra angereist waren, am Abend wieder Heim fahren. Engagierte Chemnitzer*innen bleiben jedoch hier. Daher ist es umso wichtiger, diese Menschen, Initiativen und Projekte nicht nur kurzfristig zu unterstützen, sondern auch langfristig. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass Menschen durch die Dynamik während und am Rande des Konzerts politisiert werden und beginnen, sich zu engagieren.

Die Wut auf Rechtsextreme und auf das, was sie in Chemnitz getan haben, war am Montag an jeder Ecke in der Innenstadt zu spüren. Und so kam es auch zu einer recht skurrilen Szene nach Ende des Konzerts: Mehrere Konzertbesucher*innen versammelten sich am Rande der Stelle, an der Daniel H. ermordet wurde. Sie gingen davon aus, dass alle dort Trauernden Nazis seien. Die Stimmung war sehr gereizt. Die Polizei musste anrücken und forderte die Anti-Faschist*innen auf, sich zu entfernen.  Menschen, die die Situation in Chemnitz seit Tagen beobachtet haben, konnten die Protestierenden schließlich davon überzeugen, dass dieser Protest hier nicht angemessen sei. Wir können niemandem ins Herz schauen und wissen nicht, ob jemand aufrichtig trauert. Doch die Angehörigen und Freunde von Daniel haben ein Recht, an dieser Stelle zu trauern. Und so saßen gestern neben einigen offensichtlichen Rechtsextremen auch gute Freunde von Daniel und seine Lebensgefährtin um das Blumenmeer. Freunde von Daniel, mit denen wir an  diesem Abend gesprochen haben, sagten uns, dass sie sich gegen jede Instrumentalisierung dieses tragischen Todesfalls wehren. Die derzeitige Situation mache es ihnen unmöglich, angemessen zu trauern.

Der Gedenkort am Abend

Die Aufarbeitung der Ereignisse der vergangenen Tage in Chemnitz beginnt erst und sie wird lange dauern. Der Montag hat uns und all den verunsicherten Chemnitzer*innen gezeigt, dass wir als demokratische Zivilgesellschaft viel mehr sind. Hier wurde niemand verfolgt, nur weil er nicht ins eigene Weltbild passt – es blieb friedlich. Hoffen wir, dass diese Bilder auch die Menschen überzeugt, die bisher verunsichert waren, wie sie sich positionieren sollen und dass in Chemnitz bald wieder so etwas wie Ruhe einkehrt.

 

 

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Was sagen AfD-Funktionäre in Sozialen Netzwerken zu Chemnitz?

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AfD Baden-Württemberg-Funktionär Dubravoko Mandic teilt ein Video von Pegida-Kopf Lutz Bachmann, in dem dieser sich über AfD-Funktionär Uwe Junge beschwert, weil der sich von Pegida distanzieren will. Obwohl er mit ihnen in Chemnitz "demonstriert" hat. Komplizierte Welt, doch was klar ist: Teile von AfD und Pegida denken sich zusammen.
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Screenshot Faceboo, 04.09.2018

In den letzten Tagen in Chemnitz kam es zum Schulterschluss zwischen der offen rechtsextremen und der sich bemüht bürgerlich gebenden rechtspopulistischen Szene. Was sagt eigentlich die AfD dazu?

 

Von Simone Rafael (Text) und Miro Dittrich (Monitoring)

 

Die Demonstrationen der letzten Tage in Chemnitz hatten alles, was das rechtsextreme Herz begehrt: Etwa Sprechchöre, die „Nationalen Sozialismus jetzt!“ forderten, Hitlergrüße, Angriffe aus dem Reihen der „trauernden“ Demonstrierenden auf Migrant*innen und Journalist*innen, Teilnehmer mit Hakenkreuz-Ketten, 88-Tattoos im Ährenkranz (für „Heil Hitler“) und Solidaritäts-T-Shirts für Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck. Und am Samstag ging mit 4.500 anderen rechten Menschen die Führungsebene der AfD auf die Straße, unter anderem vertreten durch Björn Höcke (Landesvorsitzender AfD Thüringen), Andreas Kalbitz (Landesvorsitzender AfD Brandenburg) und Uwe Junge (Landesvorsitzender der AfD Rheinland-Pfalz) und Josef Dörr (Landesvorsitzender der AfD Saarland) (vgl. BTN). Der AfD-Zug lief, mit weißen Rosen in der Hand den gleichnamigen Widerstand gegen Hitler vereinnahmend, vom AfD-Büro zum Nischel, wo er allerdings von einer zivilgesellschaftlichen Blockade aufgehalten wurden.  Mit auf der Demo waren „Pegida“-Anführer Lutz Bachmann und Siegfried Däbritz. Die standen auf zahlreichen Fotos übrigens direkt hinter Höcke und Co. was insofern argumentativ Uwe Junge widerlegt, der auf Facebook schrieb...

... und sofort widerlegt wurde, wie hier im Post zu sehen. Aber vielleicht hat sich Uwe Junge ja nie umgedreht und deshalb weiter Lutz Bachmann und Siegfried Däbritz noch alle anderen Mitdemonstrierenden gesehen? 

 

Andere wurden vielleicht weniger überrascht: Parteikollege Björn Höcke hat sogar ein gemeinsames Sharepic auf Facebook geteilt, das mit “Pegida” und “AfD” (Brandenburg, Sachsen und Thüringen) unterzeichnet ist.

 

 

Die lokale flüchtlingsfeindliche Gruppierung „Pro Chemnitz“ hatte eine zeitlich vorher angesetzte Demonstration ebenfalls beendet, damit sich alle der AfD-Veranstaltung anschließen konnten. So friedlich, dass dabei lediglich Journalist*innen attackiert wurden.

 

 

Aber dafür kann die AfD ja nichts! Oder?

Aber dafür kann die AfD ja nichts! Die wollte ja nur trauern. Oder? Wir haben aus den letzten Tagen zusammengetragen, was AfD-Funktionäre so über die Ereignisse in Chemnitz nicht nur denken, sondern auch offen in Soziale Netzwerken schreiben. Lassen Sie diese Aussagen einfach wirken. Alle Posts zwischen 27.08.2018 und 04.09.2018.

 

Wir erinnern uns, es begann mit dieser Aussage von Bundestagsabgeordnetem und JA-Vorsitzenden Frohnmaier, dem Aufruf zur Selbstjustiz nach den Zusammenrottungen von Sonntag (vgl. BTN).

 

André Poggenburg, AfD Sachsen-Anhalt, spricht auf Twitter von "Messerstecherwochen" [1 Woche, 1 Fall] und "Multi-Klatschern" [? Wohl Kulti vergessen], seine Lösung: Demokratische Politik, für ihn "linke" Politik,  muss ein Ende haben.

 

 

Die AfD Franktion Hochtaunuskreis hat es nicht so mit der Pressefreiheit und lässt Journalist*innen wissen: Jetzt ist noch die Chance, sich vom "System" (gemeint ist die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland) "abzuwenden", bevor man "auf die Straße gezerrt" wird. Grund: Ihnen gefällt die Berichterstattung zu Chemnitz nicht. Oben ist der Originalpost zu sehen, darunter die editierte Variante.

 

 

Dieses Landtagmitglied der AfD NRW, Roger Beckamp, sieht in den aggressiven Rassist*innen und Hooligans vom Sonntag- und Montagabend "mutige Chemnitzer", die "fast einen Ehrentitel" verdient hätten - ach nein, der "Ehrentitel" ist ja "Rechter Mob". 
 

 

André Poggenburg findet derweil, die AfD habe bisher sehr verantwortungsvoll gegen Geflüchtete gehetzt, denn wir haben "hemmungslose Messermigration". 

 

 

Hierzu ein Recherche-Link dazu, wie viele Fälle von "Messermigration", die die AfD propagiert, es wirklich gibt. Spoiler: Mehr als die Hälft sind gar keine Messerangriffe. 

 

AfD-Mitarbeiterin Anka Willms, die das Büro des MdB Uwe Kamann leitet, meint derweil: Keine Zeit zur Distanzierung von Hooligans, Pöbel und Pack.

 

 

Derweil findet Dr. Christian Blex von der AfD NRW Selbstjustiz immer noch gut: 

 

Ronny Kumpf, AfD-Vize in Sachsen-Anhalt, sah in Chemnitz nur "Bürger aller Altersgruppen und sozialen Schichten". Illustriert mit einem Bild, auf dem vor allem mittelalte bis alte Männer zu sehen sind.

 


 

AfD-Bundesvorsitzende Alice Weidel sieht in Chemnitz medial ein "Ablenkungsmanöver von den eigentlichen Ursachen". 

 

 

Harald Laatsch, AfD-Abgeordneter im Abgeordnetenhaus in Berlin, findet, es finde eine "Diffamierung der Einheimischen" statt, weil Medien darüber berichten, wie rechte Gruppen den Tod von Daniel H. für Rassismus instrumentalisieren wollen. Mit der "deutschen Bevölkerung" hat diese Presse wohl nichts zu tun. 

 
 
Frank Pasemann, der sich selbst durch das X als Kandidat markiert, der unter den Twitter-Qualitätsfilter fällt und für die AfD im Bundestag sitzt, schimpft auf den "Staatsfunk" und sieht "brodeln" im Osten.
 
 
 
Maximillian Krah, stellvertretender Landesvorsitzender der AfD Sachsen, zeigt seine Sympathien für die rechtsextreme neurechte Szene, indem er auf Twitter ein Sharepic zu Chemnitz von Martin Sellner, Anführer der "Identitären Bewegung" teilt..
 
 
Auch ansonsten hat der Rechtsanwalt seine Feindbilder fest. Nach dem Konzert #wirsindmehr am Montag twittert er mit Zahlen ohne Quellen: #Ihrseidnichtmehr.
 
 
 
 
AfD-Chefin Alice Weidel fühlt sich nun offenbar schon vom Ausdruck "Rechte" falsch bezeichnet.
 
 
 
Das #Wirsindmehr-Konzert kann Weidel auch nicht leiden. Das richtet sich aber gegen die rechte Instrumentalisierung des Todes von Daniel H., nicht gegen das Opfer. 
 
 
 
Björn Höcke sieht derweil den gesamten Staat in Gefahr, weil die AfD auf ihrer Demonstration nicht die gesamte Route laufen durfte (weil zivilgesellschaftlicher Gegenprotest wirkt). 
 
 
 
Und Höcke hat auch noch eine Aktion gegen Ausgrenzung von Sachsen in Petto.  Dabei geht es gar nicht um Sachsen, sondern nur um rassistische und demokratiefeindliche Demonstrant*innen. Aber die findet Höcke auch "liebenswert".
 
 
 
Dubravko Mandic, der AfD-Funktionär und "Pegida"-Freund vom Titelfoto, sieht derweil Großes kommen:
 
 
Ähnlich sieht des Ronny Kumpf,  AfD-Vize in Sachsen-Anhalt, der vom Aufstand spricht, der begonnen habe.
 
 
 
 

Streit in der rechten Sphäre

Wer nun befürchtet, dass die Einheit aller Kräfte der rechten Sphäre nun vollzogen sei, den wird vielleicht immerhin beruhigen, dass es auch hier nicht ohne Streit geht.

Zu hart - ein Austritt: Was die AfD vermutlich weniger berührt, aber als Botschaft trotzdem wichtig ist: Die Osnabrücker Kreistagsabgeordente Tanja Bojani ist nach den Ereignissen in Chemnitz aus der AfD ausgetreten: "Eine Partei die sich als frauenfeindlich, durchweg chauvinistisch und mit dem einzigen politischen Fokus auf dem Thema Asyl zeigt, kann ich nicht weiter unterstützen und vertreten. Ich verfolge eine lösungsorientierte Politik, die eine echte Alternative bietet und nicht als einziges Ziel die Diffamierung gesellschaftlicher Minderheiten verfolgt. Die AfD hat meiner Meinung nach nichts bewirkt, außer die Gesellschaft aufzuhetzen, echte Lösungen sehen anders aus!" (vgl. Hasepost.de).

Zu lasch: Andere Teile der Szene – und sogar AfD-Unterstützer fanden die AfD dagegen in Chemnitz zu lasch. Ausführlich kritisiert etwa Hans-Thomas Tillschneider, AfD-Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt, die Parteiführung auf dem rechtsextremen neurechten Blog „Sezession“ von Götz Kubitschek:

„Die Szene war von seltener Würdelosigkeit. Aus dem Lautsprecher auf dem Demonstrationswagen kam von irgendjemandem die Ansage, daß der Rechtsstaat kapituliert habe und die Versammlung aufgelöst sei. Danach wurde wie ein lästiger letzter Tagesordnungspunkt noch die Nationalhymne abgesungen, bevor sich die zuvor noch an der Spitze stehenden Parteioberen durch eine Rettungsgasse schnellen Schrittes als erste entfernt haben. Ich stand mitten in der Menge und mußte Beschimpfungen meiner Partei anhören, die ich hier besser nicht wiedergebe. Fakt ist: Die polizeiliche Anweisung war Willkür. Nichts hat den Abbruch der Veranstaltung gerechtfertigt. Es waren genug Polizeikräfte und genug schweres Gerät in der Stadt, um unser Demonstrationsrecht durchzusetzen und den neulinken Staatsfeinden Manieren beizubringen.“ Statt aber in den „Widerstand“ zu gehen und der „Herrschaft des Unrechts“ die „Maske vom Gesicht zu  reißen“ – etwa durch einen Sitzstreik oder ähnliches, habe die AfD kapituliert: „Eine Partei, die sich Alternative für Deutschland nennt, aber im Angesichts des Unrechts keine Alternative mehr zu bieten und sogar nichts Besseres zu tun hat, als das Unrecht eilfertig zu befolgen, gefährdet ihre Substanz.“

Strategisch unklug: Verleger Götz Kubitschek, Vordenker der rechtsextremen Neuen Rechten, hat auch einen Kommentar zu Chemnitz auf der „Sezession“ parat. Er nimmt die Sache strategisch: „Ich kann nur raten: Keine Großdemonstrationen mehr unter der Fahne der AfD. Laßt das andere machen! Die Teilnahme empfehlen, sich unters Volk mischen, Gesicht zeigen, an der Gegenöffentlichkeit mitwirken und die Sympathie der Wähler gewinnen - das kann man auch, wenn man nicht den Hut aufhat und in der Zwickmühle steckt.“ Auf Twitter klingt das dann so:

Einfügen

Gegen Wessis:„Pegida“-Anführer Lutz Bachmann ist übrigens auch verstimmt, und zwar über AfD-Rheinland-Pfalz-Chef Uwe Junge (siehe oben). Der „Pegida“-Mann mag ja die feine Klinge nicht und deshalb wettert er  gleich gegen die ganze AfD im Westen, die er in einem Video „die miesesten Agenten“ nennt: „Es braucht sie hier niemand im Osten!“

 

Mehr zur AfD zu Chemnitz im Internet:

Es gab von der AfD auch diverse Falschmeldungen zu Chemnitz, unter anderem mit Bildmaterial aus anderen Zusammenhängen, Negieren von Angriffen auf Journalist*innen, angeblich von Nicht-Rechte inszenierten Hitler-Grüßen – die hat der Blog „Die Volksverpetzer“ aber schon gut aufgearbeitet:

 

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Chemnitz: Vermutlich Rechte griffen gezielt gekesselte Demonstranten und Sanitäter an

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Polizist*innen vor einem Wasserwerfer in Chemnitz am 1. September in Chemnitz
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Während am Samstag in Chemnitz Rechtsextreme Polizeiketten durchbrachen und gezielt Journalist*innen angriffen, ohne dass die Polizei wirkungsvoll einschritt, waren nur wenige Meter entfernt rund 200 Gegendemonstrant*innen bis in die Nacht von der Polizei eingekesselt und wurden zwischenzeitlich gezielt von Unbekannten (mutmaßlich aber Rechtsextreme)  mit Pfefferspray angegriffen.

 

Von Kira Ayyadi

 

Gegen 18.20 Uhr, als der rechtsextreme Mob noch vor dem AfD-Büro in der Theaterstraße stand und langsam ungeduldig wurde, da es immer noch nicht los ging, kam es in der Chemintzer Innenstadt zu einem Zusammenstoß rechtsextremer Demonstrant*innen mit einer linken Gruppe. Für einen kurzen Moment flogen auf beiden Seiten Stühle und Flaschen. Die Polizei eilte herbei, trennte sie beide Lager voneinander und kesselte schließlich rund 200 Gegendemonstrant*innen ein. Allerdings waren von diesen nur die wenigsten an dem Zusammenstoß mit den Rechtsextremen beteiligt.

Einige Demonstrations-Sanitäter*innen gingen in den Polizeikessel hinein, um nach Verletzten zu schauen - ein übliches Procedere. Niemand wurde aus dem Kessel gelassen, bevor nicht eine Identitätsfeststellung durchgeführt wurde, das betraf auch die Demo-Sanitäter*innen. Ohne war es auch den Sanitäter*innen untersagt, den Kessel zu verlassen. Sie wurden also nicht mehr als  medizinische Erstversorger*innen wahrgenommen, sondern als Teilnehmer*innen der Demonstration behandelt. Dies stellt eine klare Behinderung bei der Versorgung der Patient*innen dar. Mit welcher Begründung die Polizei die Demoteilnehmer*innen und Sanitäter*innen festhielt ist uns leider nicht bekannt, da wir auf unsere Anfrage bisher keine Antwort erhalten haben.

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Polizist tritt linke Demonstrantin, Chemnitz am 01.09.2018 Tim Mönch 

 

Als die Sanitäter*innen einen Notfall versorgten, baten sie einen zuständigen Beamten darum, einen Krankenwagen über seine Einsatzzentrale zu rufen. Der Beamte beharrte  allerdings darauf, zunächst eine Identitätsfeststellung des Verletzten durchzuführen. Die Demo-Sanitäter*innen unterliegen dem Datenschutz und haben dementsprechend die Identität des Verletzten nicht preisgegeben. Ohne die Zustimmung des Patienten machen sie sich sonst strafbar. Die Sanitäter*innen  riefen schließlich selbst einen Krankenwagen. „Wir haben klar gemacht, dass es sich um einen Notfall handelt. Wir haben ja auch die entsprechende Qualifikation, das zu entscheiden, ob ein Rettungswagen nötig ist“, so ein Demo-Sanitäter gegenüber Belltower.News. Als der Rettungswagen schließlich eintraf, hatte sich der zuständige Polizist nochmals beschwert, dass der Verletzte nun aus dem Kessel kommt, ohne dass dessen Identität festgestellt wurde. „Dieses Vorgehen ist unprofessionell. Wir machen alle unseren Job und haben unterschiedliche Qualifikationen. Wenn medizinisch geschultes Fachpersonal vor einem Polizisten steht und sagt es handelt sich um einen Notfall, erwarte ich von der Polizei, dass diese im Interesse des Menschenlebens handelt und die Sanis gewähren lässt“, so ein Sanitäter, der vor Ort war.

 

Offenbar Rechtsextreme greifen rund 100 Gegendemonstrant*innen mit Pfefferspray an

Gegen 21 Uhr bemerken die Sanis, dass viele Menschen in der Mitte des Kessels anfingen zu husten. Schnell war ihnen klar, dass es sich um Reaktionen auf Pfefferspray handelte, da auch sie von Hustenanfällen betroffen waren. Nach kurzer Verwirrung über die Herkunft des Reizstoffes , wurden zwei Personen ausgemacht, die von einem angrenzenden Flachdach aus  gezielt das Pfefferspray in die Menge gesprüht hatten, in der deutlich erkennbar auch die Sanitäter*innen waren. Zeug*innen haben gesehen, wie die Angreifer auf allen Vieren an den Rand des knapp einstöckigen Flachdachs gekrochen sind, das Pfefferspray versprüht haben und weggerobbt sind. Das ist Körperverletzung gegen alle die im Einflussbereich des Reizgases  gestanden haben. „Auch wir Sanis waren von diesem Angriff betroffen. Wir tragen ja nicht umsonst auffällig gekennzeichnete Einsatzkleidung, doch das war der Person, die das getan hat offenbar egal.“ Die Vermutung liegt sehr nahe, dass es sich bei den Angreifern um Teilnehmer der rechten Demonstration gehandelt hat, der offenbar keine Hemmungen verspürte, Gegendemonstrant*innen in Gegenwart der Polizei anzugreifen.

 

Mehr zu Chemnitz auf Belltower.News:

 

Ressorts (Netz gegen Nazis): 
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Die wichtigsten Player rund um die rechtsextremen Aufmärsche in Chemnitz

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Viele Menschen behaupten angesichts der Ereignisse in Chemnitz immer noch, hier würden keine oder zumindest kaum Neonazis mitlaufen. Ein Blick auf die wichtigsten Player rund um Chemnitz beweist das Gegenteil.

 

Von Zamira Alshater

 

In den vergangenen Tagen kam es in Chemnitz zu Jagdszenen auf migrantisch aussehende Menschen und Gegendemonstrant*innen, zu einem Mob, der NS-Verherrlichende Parolen in der Innenstadt skandierte und zu Übergriffen auf Gegendemonstrat*innen, Migrant*innen und Journalist*innen. Aber wer bildet diesen Mob?  Wir stellen euch eine kleine Auswahl der wichtigsten Personen und Organisationen vor.

 

„Pro Chemnitz“ nutzt die Gunst der Stunde

Die Wählervereinigung „Pro Chemnitz“ ist seit 2014 mit drei Sitzen im Stadtrat von Chemnitz vertreten. Genau wie die NPD und in Teilen die AfD ist ihr einziges Thema die Asylpolitik, was nichts anderes bedeutet als rassistische und flüchtlingsfeindliche Hetze. Seit Jahren bemühe sich ihr Kopf Martin Kohlmann, ein ehemaliger Kader der Kleinstpartei „Die Republikaner“, die extrem rechten Szenen in Sachsen zu vereinen. “Pro Chemnitz” decke ein Spektrum von Rechtsextremen über rechten Hooligans bis zur Mitte der Gesellschaft ab. Der tragische Tod von Daniel H., in der Nacht vom 25. auf den 26.08.2018, war das Beste, was „Pro Chemnitz“ passieren konnte: Aufmerksamkeit, Presse, Zulauf und Themenbesetzung. „Pro Chemnitz“ erkannte schnell, dass das Unglück von Daniel H. das Potential hat, Menschen auf die Straße zu bringen. Und so organisierte dieser rechtsextreme Verein bereits am Montag, den 27.08.2018, eine große Demonstration, zu der sich etwa 6.000 Neonazis aus unterschiedlichsten Szenen aus dem ganzen Bundesgebiet mobilisieren ließen.  

 

Martin Kohlmann: Der Kopf von „Pro Chemnitz“

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Martin Kohlmann ist der führende Kopf von „Pro Chemnitz“. Sowohl am Montag (27.08. vor dem Karl-Marx-Denkmal), am Donnerstag (30.08. vor dem Stadion des CFC) als auch am Samstag (01.09. vor dem Karl-Marx-Denkmal) schürte er Ressentiments durch hetzerische Reden. In einer Rede meinte Kohlmann, Sachsen hätte mehr gemein mit Ungarn und Polen als mit Westdeutschland. Außerdem brachte er die Idee einer Autonomie-Region Sachsen ins Gespräch.

Kohlmann, ehemals sächsischer Landesvorsitzende der Kleinstpartei „Die Republikaner“, ist hauptberuflich als Anwalt tätig. So vertrat er beispielsweise die rechtsterroristische „Gruppe Freital“, die Sprengstoffanschläge auf Asylunterkünfte verübte und Flüchtlingsunterstützer*innen angriff. In seinen Reden verharmlost er diese Taten regelmäßig. Neben der rechtsextremen “Gruppe Freital”, so erzählte Kohlmann bei einem Auftritt, “vertrete” als Anwalt auch geflüchtete Menschen. Damit wollte er seine Objektivität und Sachkenntnis “belegen”.

 

Arthur Österle: Der Ordner

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Der Russlanddeutsche Arthur Österle trat bei den vergangenen „Pro Chemnitz“-Kundgebungen stets als prominenter Ordner auf, der sich auch in der Funktion sah, die anderen Ordner*innen anzuleiten. Zum Teil brüllte er Reden in sein Megaphone und stachelte damit den braunen Pulk auf. Auf der „Pro Chemnitz“-Demo am Montag (27.08.) drang der rechtsextreme Mob zu den Gegendemonstrant*innen vor. Die spärlich besetzte Polizeikette hätte den 6.000 Neonazis nichts entgegensetzten können. Hauptsächlich Österle war es zu verdanken, dass es in dieser Situation nicht zu einem Angriff der Neonazis gekommen ist. Ihm gelang es, die aufgepeitschte und gewaltsuchende Menge etwas zu beruhigen. Bevor der braune Mob von „Pro Chemnitz“ am Samstag (01.09.) gemeinsam zur AfD-Kundgebung zog, wies Österle die Teilnehmer*innen noch einmal explizit darauf hin, nicht den Hitlergruß zu zeigen, da dies von der Presse falsch aufgefasst würde: „Meinetwegen bindet euch den rechten Arm an.“

Der 45-jährige Erzgebirgler ist hauptberuflich Vertreter im Baugewerbe, große Teile seiner Freizeit verbringt er aber seit drei Jahren bei Pegida und Co. Österle fiel bereits als Teil des „Wir für Deutschland“-Bündnisses bei „Merkel muss weg“-Demos in Berlin auf, wo er ebenfalls eine Ordnerfunktion übernahm.

01.07.2017 Berlin: WfD- "Merkel muss weg"-Aufmarsch Nr. 6

 

„Heimattreue Niederdorf“: Das Bindeglied zwischen Pegida und Neonazi-Szene

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Österle stammt, wie beinahe das gesamte Ordner-Team der rechtsextremen Kundgebungen der vergangenen Tage in Chemnitz, aus dem Kreise von „Heimattreue Niederdorf“. Der Verein wird in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet. Dennoch sind die meisten Mitglieder nicht unbedingt der klassisch rechtsextremen Szene zuzuordnen. „Heimattreue Niederdorf“ ist im Rahmen von “Pegida” entstanden und kann als Bindeglied zwischen klassischer rechtsextremer Szene und “Pegida” eingeordnet werden. Als am Samstag (01.09.) die „Pro Chemnitz“-Kundgebung von den Veranstaltern aufgelöst wurde und der braune Mob geschlossen zum Auftaktort des AfD-„Trauermarsches“ gingen, wurde offenbar die gesamte Ordner-Riege der „Pro Chemnitz“-Kundgebung für den AfD-Aufmarsch eingeteilt.

 

Lutz Bachmann: Hauptsache der Livestream steht

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Da der angebliche „Trauermarsch“ am Samstag (01.09)  sowohl von AfD als auch von “Pegida” organisiert wurde, durfte natürlich auch der Star der angeblich so „Besorgten“ aka Islamfeinde, Lutz Bachmann, nicht fehlen. Allerdings sprach der die ganze Zeit nur zu seinem Handy.  

 

AfD: Seite an Seite mit Neonazis

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Am Samstag (01.09.) nahmen erwartungsgemäß viele führende AfD-Vertreter*innen an der als„Trauermarsch“ proklamierten Demonstration teil. Sowohl Björn Höcke als auch Lars Franke von der Chemnitzer AfD wünschten sich ein „ordentliches“ Erscheinungsbild der Demo-Teilnehmer*innen und des Aufzugs. Gemeinsame Bilder mit randalierenden Neonazis, die den Hitlergruß zeigen, wollte man vermeiden. So verließen die meisten AfDler*innen fluchtartig die Kundgebung, als diese aufgelöst wurde. Was wiederum ausführlich von Hans-Thomas Tillschneider, AfD-Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt, auf dem rechtsextremen neurechten Blog „Sezession“ kritisiert wurde (vgl. BTN)

 

Götz Kubitscheck

 

 

Auch der Verleger Götz Kubitschek, Vordenker der rechtsextremen „neuen“ Rechten, hatte auf seinem Blog „Sezession“ nach Chemnitz mobilisiert und war am Samstag (01.09.) in Begleitung einiger seiner Kinder selbst anwesend. In einem Kommentar zu Chemnitz auf seinem Blog überlegt er anschließend, wie es nun, da die AfD-Demonstration blockiert und schließlich aufgelöst wurde, weitergehen soll: „Ich kann nur raten: Keine Großdemonstrationen mehr unter der Fahne der AfD. Laßt das andere machen! Die Teilnahme empfehlen, sich unters Volk mischen, Gesicht zeigen, an der Gegenöffentlichkeit mitwirken und die Sympathie der Wähler gewinnen - das kann man auch, wenn man nicht den Hut aufhat und in der Zwickmühle steckt.“

 

Reinhard Allen Rade: Der ominöse Unternehmer

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Auch Reinhard Allan Rade, geboren in Innsbruck, früher offenbar im rechten Söldner-Milieu tätig, ehemaliger DDR-Koordinator der rechtsextremen Partei „Republikaner“ und ehemals einer Wehrsportgruppe in Österreich naherstehend, war am Samstag (01.09.) in Chemnitz auf der AfD-Kundgebung dabei. Der umtriebige Immobilienbesitzer und Bauunternehmer, war auch für das Unternehmen „Unister“ tätig. Obwohl er selbst immer wieder abstreitet, in den letzten Jahren politisch aktiv gewesen zu sein, fiel er beispielsweise im Zuge der Demonstrationen des Leipziger Pegida Ablegers Legida auf und nun auch in Chemnitz.

 

Christian Fischer: Neonazi-Kader

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Christian Fischer (Mitte, rote Haare)

Der Neonazi Christian Fischer, war sowohl am Montag (27.08.) Donnerstag (30.08.) als auch am Samstag (01.09.) in Chemnitz. Immer mit dabei hat er seinen „Schirm“, der praktischerweise gleichzeitig ein Teleskopschlagstock ist.

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Christian Fischer (rechts) mit seinem "Schirm"

Fischer, der aus dem niedersächsischen Vechta stammt, zählte bei der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) zur „Leitstelle Mitte“, wie „blick nach rechts“ berichtet. Er organisierte Lager und eine „Rasse“-Schulung.  Fischer galt bei der HDJ als wehrsportbegeistert. Die „Heimattreue Deutsche Jugend“ war bis zu ihrem Verbot im März 2009 eine neonazistische Jugendorganisation, die eine völkisch-nationalistische Ideologie vertrat. Der Verein veranstaltete Zeltlager, Fahrten, Wanderungen und Liederabende vermischt mit politischen Schulungen für die ganze (rechtsextreme) Familie. Auch der brandenburgische Landesvorsitzende der AfD, Andreas Kalbitz, hat 2007 an einem Pfingstlager der HDJ teilgenommen.

2007 führte Fischer mit 24 anderen Neonazis ein paramilitärisches Camp an der deutsch-holländischen Grenze durch, wie „blick nach rechts“ berichtet. Nach dem Aus der HDJ wurde Christian Fischer Landesvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten (JN). 2014 nahm er am Aufmarsch der gewaltbereiten „Hooligans gegen Salafisten“ in Hannover teil. Am 1. Mai dieses Jahres beteiligte sich Fischer am Aufmarsch in Chemnitz in einer Jacke des „III. Wegs“. Fischer besuchte gen Ende öfters den NSU-Prozess. Mit weiteren Kameraden hörte er sich Teile der Plädoyers von Andre Emminger und Ralf Wohlleben an.

 

Maik Arnold: Chemnitzer Kameradschaftsszene mit Verbindungen ins NSU-Umfeld

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Maik Arnold, Mitte mit Fahne

Auch Maik Arnold, Urgestein der Chemnitzer Kameradschafts-Szene, war am am Montag (27.08) und am Samstag (01.09.) in den vordersten Reihen mit dabei. Er war Pressesprecher der „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ (NSC) und organisiert sich seit einigen Jahren in der Neonazi-Partei „Der III. Weg“ im Chemnitzer Umland. Allerdings trat Arnold in Chemnitz nicht in Begleitung seiner Kameraden vom „III. Weg“ auf, sondern in seiner Rolle als Vorstand des Vereins „Unsere Heimat unsere Zukunft“ (UH-ZU). Arnold war ein langjähriger Mitarbeiter von „PC-Record“ und hatte offenbar Verbindungen in den engeren NSU-Unterstützerkreis: Mit Ralf Wohlleben pflegte er einen politischen Austausch und in André Emingers Telefonbuch war Arnolds Telefonnummer eingetragen. Der Fund im März 2014 einer sogenannten „NSU-CD“ in Arnolds Wohnung während der Razzien im Rahmen des NSC-Verbotes macht eine Anbindung Arnolds an Personen des engeren Unterstützerkreises sehr wahrscheinlich.

 

PC Records: Die Männer im Hintergrund kommen auf die Straße

Auch Hendrik Lasch war gemeinsam mit Yves Rahmel in Chemnitz. Sie beide sind verantwortlich für das Rechtsrock-Label „PC Records“. Rahmel war Produzent der extrem rechten Musikszene und ehemals offizieller Betreiber des Rechtsrock-Labels. „PC Records“ ist nicht nur ein Ladengeschäft („Backsteet Naise“ als Bekleidungsgeschäft für rechtsextreme Kund*innen) und Versandhandel, sondern agiert auch als Musiklabel, es ist eines der aktivsten Neonazi-Labels Deutschlands. Rahmel produzierte neben diversen Rechtsrock-Alben, auch die Schulhof-CD und das „Döner-Killer“-Lied, in dem Jahre vor Auffliegen des NSU, die Morde an den neun Migranten verhöhnt werden. Obwohl Lasch und Rahmel bestens in der rechtsextremen Szene vernetzt sind, meiden sie in der Regel die Öffentlichkeit, sondern agieren eher im Hintergrund. Umso erstaunlicher ist es, dass man nun in Chemnitz auch diese Beiden gesehen hat.

 

 

 

Lasse R. und Pierre B.: Neonazi-Schläger

 

Lasse R. und der mehrfach vorbestrafte Pierre B., beide aus Braunschweig, sind zwar keine wichtigen Player, sollen hier dennoch erwähnt werden, da sie beide maßgeblich an den Angriffen auf Journalist*innen beteiligt waren. Lasse R. und Pierre B. sind beide bei den „Jungen Nationalen“ der Jugendorganisation der NPD aktiv, außerdem stehen sie dem „Antikapitalistischen Kollektiv“ (AKK) nahe. Lasse nahm dazu an den beiden letzten Rechtsextremen Aufmärschen zum „Gedenken“ an den NS-Kriegsverbrecher Rudolf Heß in Berlin teil.

 

 

 

Diese Aufzählung ist bei weitem nicht vollständig. Eigentlich müssten auch noch die Parteien „Der III.Weg“ und „Die Rechte“ Erwähnung finden, oder das rechtspopulistische Bündnis „Wir für Kandel“, das in einer ähnlichen Weise Gewalt gegen Frauen für rassistische Hetze missbraucht wie „Pro Chemnitz“ und die AfD oder die unterschiedlichen Hooligan-Gruppierungen wie die aus Cottbus, Berlin oder Hamburg. Auch die Kampfsportler um das „Imperium Fight Team“ aus Wurzen mit der zentralen Figur Benjamin Brinsa müssen an dieser Stelle kurz erwähnt werden, genau wie die Mitglieder des Scheinriesens der „Identitären Bewegung“, die nach Chemnitz kamen.

Was wir derzeit in Chemnitz sehen ist eine massive Vernetzung extrem rechter Szenen. Der Tod von Daniel H. dient momentan als idealer Katalysator, um unterschiedliche rechtsextreme Gruppen zu vereinen. Aber auch Menschen, die vorher nur in flüchtlingsfeindlichen und islamfeindlichen Facebook-Gruppen miteinander interagiert haben, treffen in Chemnitz nun im Reallife aufeinander. Die Menschen, die von vielen als „besorgte Bürger*innen“ bezeichnet werden und in Chemnitz offenbar keine Berührungsängste zu offenen Neonazis haben, sind bereits so weit radikalisiert, dass sie es in ihrem Wahn als ihre Bürgerpflicht empfinden, etwas gegen die derzeitige Regierung zu unternehmen, wenn nötig auch mit Gewalt. Diese Menschen dürfen wir nicht als „besorgte Bürger*innen“ verharmlosen, denn wer gemeinsam mit Neonazis auf die Straße geht, macht sich mit ihnen gemein.

 
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Übergriffe in Chemnitz: Dokumentation für und gegen Hans-Georg Maaßen

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Wenn ein Mann einen anderen aus rassistischen Gründen durch die Straße jagt, ist das eine Hetzjagd? Die einen diskutieren, der oberste Verfassungsschützer verneint komplett.
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Screenshot Twitter, 07.09.2018

Was für eine Verschwörung: Um rechtspopulistische Demonstrant*innen zu diskreditieren, inszenieren Journalist*innen Übergriffe und filmen sie, und erfinden sogar später Interviews mit gar nicht echten Opfern, nur um „die Öffentlichkeit von dem mutmaßlichen Mord in Chemnitz“ abzulenken.  Das sagt der Mann, der als Verfassungsschutzpräsident unsere Verfassung schützen soll. Wir haben auch noch ein Video-Interview mit Übergriffs-Opfern aus Chemnitz – und eine Auflistung bisheriger Dokumente.

 

Von Simone Rafael

 

Vor zwei Wochen hatte das Buch „Inside AfD“ von AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber ans Licht gebracht, dass Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen 2015 Frauke Petry beraten habe, was zu tun sei, damit ihre Partei nicht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes gerate (vgl. SpiegelWelt). Dieser Vorgang schien, gelinde gesagt, unkonventionell, aber möglicherweise sachdienlich, um Rechtsextremismus Einfluss zu nehmen. Nun aber scheint Maaßens inhaltliche Nähe zum Rechtspopulismus der AfD doch größer als geahnt: Zu den Ereignissen in Chemnitz äußert der Verfassungsschutzpräsident nicht nur, ihm lägen keine „belastbaren Informationen“ vor, sondern auch, dass es keine Belege dafür gäbe, dass Video-Dokumentationen von Übergriffen durch Journalist*innen und Beobachter*innen „authentisch“ wären. Stattdessen, so Maaßen, sprächen „gute Gründe“ dafür, dass es sich um „gezielte Falschinformationen“ handele, „um die Öffentlichkeit vom mutmaßlichen Mord in Chemnitz abzulenken.“ (vgl. Tagesspiegel). Wobei noch gar nicht klar ist, ob es sich bei der Tat um einen Mord oder einen Totschlag handelt, so dass Maaßen hier auch noch den Ermittlungen und einer möglichen Anklage vorgreift (vgl. Faktenfinder).

Damit meint Maaßen also: Die Videos rührten aus anderen Zusammenhänge und seien bewusst mit falschen Angaben veröffentlicht worden. Seiner Dienstherrin, der Bundeskanzlerin, hat Maaßen diese Einschätzung allerdings nicht mitgeteilt. Laut sächsischer Polizei sei die Auswertung des übermittelten Videomaterials auch noch gar nicht abgeschlossen (Welt). Es ist zu hoffen, dass nun auch geprüft wird, inwieweit Hans-Georg Maaßen für seine Aufgabe, die Verfassung und unsere Demokratie zu schützen, noch geeignet ist.

 

Es geht Maaßen um dieses Video einer anonymen Quelle auf Twitter:

 

 

Um Echtheit zu prüfen, kann man Ort, Zeit, Wetterverhältnisse prüfen und mit anderen Videos aus Chemnitz abgleichen (was hier passte). Man kann schauen, ob das Video schon zuvor im Internet kursierte (nein).

Eine ausführliche Verifikationen dieses Videos macht der Journalist Lars Wiegand auf Twitter:

Es gibt sie auch als Artikel bei T-Online, wo Wiegand arbeitet:

 

Übrigens hat auch ze.tt bereits vor Tagen das Opfer interviewt, dass mit Video attackiert wird:

Nach viralem Video: Das ist die Geschichte des Menschen, der in Chemnitz von einem Neonazi gejagt wurde Wir haben Aziz getroffen, der in Chemnitz vor einem wütenden Mob fliehen musste – und jetzt Anzeige erstattet.

https://ze.tt/nach-viralem-video-das-ist-die-geschichte-des-menschen-der-in-chemnitz-von-einem-neonazi-gejagt-wurde/amp/?__twitter_impression=true

 

Allerdings zeigt dieses Video auch bei weitem nicht den einzigen Übergriff im Umfeld der Demonstrationen.

Unsere Belltower.News-Kollegin Zamira Alshater, die von dem Demonstrationen in Chemnitz berichtet hat und gerade wieder auf dem Weg dorthin ist, hat selbst einen Übergriff am Montag, den  27.08.2018 beobachtet und die Begleiter*innen der Opfer hinterher interviewt. Hier das Video:

 

 

Heute berichtet in der Berliner Zeitung eine SPD-Gruppe, die gegen die Rechtsextremen am Samstag demonstriert hatte, von einem Übergriff am 25.08.2018:

„Nur 20 bis 30 Sekunden habe der Angriff gedauert, sagt Roland D. – aber der Schock sitze ihm noch in den Knochen. Immer wieder kämen ihm die Tränen. Der 69-Jährige ist SPD-Mitglied aus der Nähe von Marburg. Mit einer 35-köpfigen Gruppe seiner Partei hat er am Samstagabend an der Gegendemonstration „Herz statt Hetze“ in Chemnitz teilgenommen. Gegen 20 Uhr habe sich die Versammlung aufgelöst, gemeinsam sei man die wenigen Hundert Meter auf dem Bürgersteig zum Bus gelaufen, der sie nach Hause bringen wollte. „Ahnungslos“, wie D. sagt. Da seien sie attackiert worden, von einer Gruppe mit circa 15 Mann, unauffällig gekleidet, „nicht klar erkennbar als Rechtsextreme“. Einer habe einen Baseball-Schläger getragen. „Deutschlandverräter“ hätten sie gebrüllt, den SPD-Leuten mehrere Fahnen aus den Händen gerissen, deren Stöcke zerbrochen und seien „mit Fäusten und Tritten“ auf einige losgegangen. Nach nicht einmal einer Minute seien die Täter getürmt. Die Polizei sei sofort zur Stelle gewesen, hätte sich sorgfältig gekümmert und Anzeigen aufgenommen. „Wir waren gelähmt und geschockt“, sagt D., „einige haben geweint.““

Hier wird außerdem auf einen Übergriff auf Geflüchtete und auf jüdisches Restaurant in Chemnitz berichtet – hier müssen die Täter aber erst noch ermittelt werden.

Die Opferberatung Chemnitz hat bisher insgesamt 39 Angriffe dokumentiert, davon 27 Körperverletzungen und 12 Nötigungen. Am Sonntag, den 26. August, hätten sich die Attacken ausschließlich gegen Migranten gerichtet. Auf Demonstrationen in den Tagen darauf verstärkt gegen Journalisten und Gegendemonstranten.

 

Auch dieses Video zeigt einen Übergriff aus der Demonstration am 26.08.2018 auf eine Gegendemonstrantin. Am Ende ist Polizist zu hören, der sie vor dem "Mob" warnt.

 

 

 

Weitere Dokumente von Übergriffen im Internet

Die Übergriffe auf Journalist*innen am 01.09.2018 sind ebenfalls im Internet dokumentiert. Allerdings handelt es sich nicht nur um Videos, sondern auch um Beschreibungen – die findet der Verfassungsschutz wohlmöglich noch suspekter.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Angriffe auf Video:

 

Video vom 27.08.2018 von Spiegel TV: “Bepöbelt und bedroht”

 

Der Streit der letzten Tage, wie langfristig Menschen gewalttätig durch eine Stadt gejagt werden müssten, um den Begriff “Hetzjagd” zu rechtfertigen, und ob es sich beim Jagen von Menschen aus einer Demonstration heraus nicht eher um „Jagdszenen“ handele, ist zynisch, aber legitim. Wenn allerdings der Verfassungsschutzpräsident nicht einmal mehr per Video dokumentierte rechtsextreme Gewalt als real anerkennen möchte, wird es mit dem Schutz der Verfassung sehr schwierig in Deutschland.

 

Mehr zu Chemnitz auf Belltower.News

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"Pro Chemnitz"-Kundgebung am Freitag: Unsere Bilder

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Knapp zwei Wochen nach den Protesten und den „Jagdszenen“ in Chemnitz hat das rassistische Bündnis „Pro Chemnitz“ zu seiner vierten Kundgebung mobilisiert. Dem Ruf des rechtsextremen Bündnisses sind nach Polizeiangaben 2.350 Menschen gefolgt. Es scheint, als würde die Dynamik langsam nachlassen.

 

Von Belltower.News-Redaktion

 

Zwischen einigen, zumeist sächsischen rechtsextremen Hooligan, einigen Neonazi-Kadern (u.a. Christian Worch, Dieter Riefling), bestand das Publikum größtenteils aus Menschen, die in der Debatte als „Besorgte“ verharmlost werden. Auffällig war am Freitag, dass „Pro Chemnitz“ offenbar sehr bemüht darum ist, den Anschein der Bürgerlichkeit zu wahren, indem sie keine verfassungsfeindlichen Gesten, Symbole und Äußerungen duldeten.

Parallel zur rassistischen und flüchtlingsfeindlichen Demo fand eine Gegenkundgebung der Kulturbetriebe, mit einem Open-Air-Konzerts mit Beethovens 9. Sinfonie statt. An dem Protest-Konzert beteiligten sich etwa 4.500 Menschen.

 

Unsere Bilder:

 

 

"Pro Chemnitz"-Demo am 07.09.2018

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Wann wird Kritik an Migration und Geflüchteten eigentlich rassistisch?

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Wenn unter den Demonstrant*innen in Chemnitz (hier: 01.09.2018) auch welche waren, die nur ohne Rassismus gegen Gewalt protestieren wollten, sind sie leider nicht sichtbar, wenn sie zwischen lautstarken Rassist*innen stehen.
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„Man darf gar nicht mehr auf Probleme im Zusammenhang mit Migration und Geflüchteten hinweisen! Sonst wird man sofort in die rechtsextreme Ecke gestellt!“, finden derzeit einige Menschen. Die gute Nachricht für sie ist: Natürlich dürfen sie auf Probleme im Zusammenhang mit Migration und Geflüchteten hinweisen. Solange sie dabei sachlich und fair bleiben, Fakten und Quellen prüfen und auf Pauschalisierungen und Abwertungen verzichten. Und bereit sind Ihre Meinung auch zu ändern, wenn sie sich als falsch herausstellen sollte.

 

Von Simone Rafael

 

In Chemnitz gab es mit Sicherheit auch Einwohner_innen, die auf den Demonstrationen der vergangenen Woche Daniel H. gedenken wollten, der zuvor Opfer einer Gewalttat  geworden war. Und dann fanden sie sich in der medialen Darstellung als rassistischer Mob wieder, was sicher zu Frustration führt. Deshalb hier eine kleine Checkliste: Wann wird Kritik an Migration und Geflüchteten rassistisch? Wann werden Sie Teil eines rechtsextremen Mobs?

 

Wann wird Kritik an Migration und Geflüchteten rassistisch?

 

Pauschalisierung: Wenn Sie von einzelnen Menschen ausgehen, um über eine ganze Gruppe zu urteilen.

  • Sie kennen einen (oder auch zehn) Geflüchtete, die sie etwa respektlos,  frauenfeindlich oder zu laut empfinden? Dies ist kein Grund, davon auszugehen, dass ALLE Geflüchteten so sind – oder sind Sie etwa wie alle Menschen in Ihrer Stadt, geschweige denn Ihrem Land? Also: Erst mal sprechen Sie nicht über „die Geflüchteten“, „die Syrer“, „die Muslime“. Benennen Sie konkrete Probleme konkret – dann können sie auch darüber sprechen und vielleicht sogar Lösungen finden.
     
  • Wenn es in Ihrem Leben keine konkreten Probleme mit Geflüchteten gibt und Sie ihre Meinung etwa aus Meldungen im Internet oder aus der Boulevard-Presse gebildet haben, bedenken Sie bitte, dass dort überproportional und zum Teil auch absichtlich negative Vorfälle besonders ausführlich berichtet werden, positive Erfahrungen dagegen selten. Im Journalismus nennt man das Prinzip „Bad News are good news“ – Menschen interessieren sich für Probleme grundsätzlich mehr als für Berichte, die sagen, dass alles gut läuft.  Dazu kommen rechtsextreme, rechtspopulistische und rassistische Blogs und „alternative“ Medien, die Sie bewusst mit Katastrophenmeldungen etwa über Geflüchtete versorgen. Das ist bestenfalls einseitig und schlimmstenfalls gelogen. Wenn Sie über Fälle aus Medien sprechen wollen, bleiben Sie ebenfalls konkret: „In Berlin gab es in der letzten Woche einen antisemitischen Angriff auf einen Mann, der eine Kippa trug“, statt „in Berlin finden ständig Angriffe auf Jüdinnen und Juden statt“ (was nicht stimmt)“.

 

Abwertung und Beschimpfung

  • Wenn Sie rassistische Sprache verwenden, denken andere Menschen, Sie sind ein Rassist oder eine Rassistin. Nehmen Sie dies zur Kenntnis. Sagen Sie nicht: „Ich kenne jemand, der gehört selbst zu der Gruppe und sagt das auch.“ Das ist an dieser Stelle egal, Sie wirken für sich selbst.
     
  • Wenn Sie Gruppen von Menschen wie Migrant*innen oder Geflüchtete beschimpfen, wirken Sie mindestens unsouverän, schnell aber auch rassistisch.
     
  • Wenn Sie allen oder einem Großteil der Geflüchteten unterstellen, sie seien zu Unrecht in Deutschland, wirken Sie ebenfalls rassistisch. Das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht in Deutschland. Wenn Sie unzufrieden damit sind, wie es in Deutschland umgesetzt wird, dann kritisieren Sie die Regierung, aber unterstellen Sie nicht grundsätzlich Geflüchteten, dass sie kein Recht hätten, in Deutschland zu sein.
     
  • Wenn Sie Menschen mit Migrationsgeschichte unterstellen, grundsätzlich und niemals „Deutsche“ zu sein oder sein zu können, handeln sie in der Tat rassistisch und müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht an einem friedlichen Zusammenleben aller interessiert zu sein, sondern abwertende Vorurteile über Menschen verschiedener Herkunft oder „Kulturen“ im Kopf zu haben.
     
  • Wenn Sie Menschen, die anderer Meinung sind als sie, beleidigen, beschimpfen oder gar bedrohen, werden diese ihnen nicht mehr zuhören und sie werden ihre inhaltlichen Punkte nicht bringen können. Zudem stehen Sie als jemand da, der sich nicht an die Spielregeln einer Debatte halten kann.

 

Wann werden Sie Teil eines rechtsextremen Mobs?

 

Wenn Sie mit Rechtsextremen gemeinsame Sache machen

  • Sie möchten gegen etwas protestieren, sie möchten einem Opfer gedenken, auf Probleme aufmerksam machen? Machen Sie es ohne Rechtsextreme und am besten auch ohne Rechtspopulist*innen. Schreiben Sie eine Ausschlussklausel für die Veranstaltung. Distanzieren Sie sich öffentlich. Suchen Sie sich fitte Ordner*innen, die lokale Rechtsaußen-Aktivist*innen erkennen und der Veranstaltung verweisen. Sollten doch solche Akteur*innen teilgenommen haben, distanzieren Sie sich hinterher öffentlich.
     
  • Laufen Sie nicht bei rechtsextremen, rechtspopulistischen oder rassistischen Demonstrationen oder Veranstaltungen mit. Das sieht immer nach Zustimmung aus. Verlassen Sie die Veranstaltungen spätestens, wenn aus der Gruppe Menschen beschimpft oder angegriffen werden, wenn rechtsextreme oder nationalsozialistische Parolen gerufen oder der Hitlergruß gezeigt wird. Wer dann bleibt, legitimiert dieses Handeln.

 

Wie funktioniert Kritik an Migration und Geflüchteten gut?

  • Wenn Sie lösungsorientiert ist:  Über konkrete Missstände müssen sie sprechen, um sie zu verbessern oder bestenfalls zu lösen. Dies passiert vielerorts in ganz Deutschland auf Bürgerversammlungen oder Bürgergesprächen dort, wo es reale Probleme gibt. Oft mit großen Erfolgen, weil sich so Absprachen treffen oder Bedingungen verändern lassen. Vor allem, wenn miteinander geredet wird, statt übereinander.
     
  • Wenn Ihre Kritik an die richtige Adresse geht – und das ist oft die Lokal- oder Bundespolitik, aber nicht etwa die Geflüchteten, die mit der Situation umgehen müssen, die sie vorfinden. Dementsprechend werden etwa Eingaben an Politiker*innen oder Leser*innen-Briefe an die Medien oft besser gehört und verstanden als lautstarke Demonstrationen auf der Straße.
     
  • Wenn Sie bereit sind, nicht nur zu kritisieren, sondern auch andere Meinungen zu hören und darüber nachzudenken.

 

Und wenn Sie das alles nicht wollen?

Wenn Sie aber wütend sind und deshalb gegen Geflüchtete wettern wollen, auch wenn es in ihrem Leben keine konkreten Probleme mit ihnen gibt?  Wenn sie abwerten, beschimpfen und bedrohen wollen, und zwar pauschalisierend und nach biologistischen oder kulturalistischen Kriterien? Wenn Sie nach einer Gewalttat wie in Chemnitz auch mit Rechtsextremen oder Hooligans gemeinsam auf der Straße demonstrieren wollen, weil die für sie mehr Sachen richtig sagen als der Rest der Gesellschaft?

Dann hören Sie auf, sich ungerecht behandelt zu fühlen, wenn man sie einen Rassisten oder eine Rassistin nennt.

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Nach Chemnitz: Sachsen verlassen?

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Teilnehmer der rechtsextremen Kundgebung am 27.08. in Chemnitz.
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AAS
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Am 26.08.2018 ist in Chemnitz rechte Gewalt eskaliert. Seit dem gibt es vermehrt rassistische Angriffe. Wir haben mit Andrea Hübler von der Opferberatung der RAA Sachsen über die Auswirkungen von Chemnitz gesprochen.

 

Das Interview führte Luka Lara Steffen.

 

Belltower.News: Wie würden Sie die Arbeit der Opferberatungsstelle beschreiben?

Andrea Hübler: Wir begleiten, unterstützen und beraten Betroffene von rechter, rassistischer  und antisemitischer Gewalt. Das kann durch psychosoziale Unterstützung sein, aber auch durch Unterstützung in der juristische Aufarbeitung von Fällen.

 

Haben Sie einen Anstieg rassistischer Gewalt nach Chemnitz beobachtet?

Ja, das Gewaltpotenzial ist vorhanden und wird durch Ereignisse wie in Chemnitz abrufbar. Auf die Ideologie folgen Taten. Seit dem 26. August 2018 haben wir insgesamt 24 Körperverletzungen und 11 Fälle von Nötigung und Bedrohung in Chemnitz registriert, die sich gegen Migrant*innen, Journalist*innen und Gegendemonstrant*innen richteten. Eine Zunahme rassistischer Gewalt gibt es auch in anderen Regionen von Sachsen. Sächsische Schweiz, Nord-Sachsen, eigentlich in allen Landkreisen. Aber natürlich hat Chemnitz auch Auswirkungen auf Gleichgesinnte bundesweit.

 

People of Colour in Chemnitz berichten von Verunsicherung und Angst, sich im Stadtgebiet aufzuhalten. Was bedeutete das für den Alltag und gilt das auch für andere Städte?

Angst führt zu ganz konkreten Einschränkungen im Alltag. Wann geht man am besten Einkaufen? Geht man alleine zur Bahn? Ruft man Freund*innen an? Wann verlässt man das Haus? Das Sicherheitsgefühl fehlt einfach. Und genau in diese Richtung soll rechte Gewalt ja auch wirken. Diese Machtdemonstration in Chemnitz wird flächendeckend wahrgenommen und führt zu einer starken Verunsicherung. Bei vielen Betroffenen entsteht letztendlich der Wunsch, Sachsen zu verlassen. Das war im Zuge der Ereignisse in Heidenau und Freital ähnlich. 2015 sind viele von Rassismus Betroffene aus Sachsen weggezogen.

 

Wie kann ein effektiver Schutz vor rassistischer Gewalt aussehen und was können Freund*innen und Kolleg*innen von Betroffenen tun?

Langfristig geht es um eine offene Gesellschaft ohne Rassismus, Antsemitismus oder andere Vorstellungen der Ungleichwertigekt. Aktuell muss sich jede  Stadtgesellschaft  gegen Rassismus  stellen und rassistische Gewalt verurteilen und thematisieren. Was konkret gefährdeten Personen hilft, ist natürlich von Fall zu Fall verschieden. Darum ist das Wichtigste, einfach nachzufragen, wie man selbst unterstützen kann und zu überlegen wie man gemeinsam die Situation verbessern kann.

 

Was hat es für Auswirkungen, wenn ein Verfassungsschutz-Präsident behauptet, ein Video sei gefälscht und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, es hätte keine Hetzjagden gegeben?

Wenn Kretschmer negiert, dass es einen Mob gab, dann ist das die Bestätigung für Rassisten, Neonazis und vermeintlich besorgte Bürger, dass ihr Handeln keine Konsequenzen hat. Täter*innen werden bestärkt. Es kommt zu vermehrten Angriffen. Dass am letzten Freitag eine selbsternannte Bürgerwehr durch Chemnitz zog, Ausweise kontrollierte und schließlich einen jungen Iraner angegriffen und verletzt hat, ist letztendlich symptomatisch für einen solchen Umgang mit rechter Gewalt. Gleichzeitig bedeutet das für Betroffene, dass ihre Erfahrungen nicht relevant sind.

 

Sehen Sie Fehler im Vorgehen der Polizei?

Die Gefahr wurde eindeutig unterschätzt. Das kann man aber nicht den Polizist*innen anstecken, sondern dem Innenministerium. Das muss sich besser vorbereiten. In Heidenau tobte 2015 ein rassistischer Mob. Daraus hätte man lernen müssen. Es wurde einfach nicht auf die Mobilisation in Hooligan-Kreisen reagiert. Die ging am 26.08.2018 um die Mittagszeit los und es war völlig klar, dass es hier nicht um 100 besorgter Bürger*innen jenseits der 60 geht, sondern um Nazi-Hooligans. Und obwohl Hundertschaften in Dresden und Leipzig vorhanden waren, sind die erst viel zu spät involviert worden. Das ist unverantwortlich. Unverantwortlich gegenüber Migrant*innen, die durch die Stadt gejagt wurden, und Menschen, die sich Rassismus in den Weg stellen. Unverantwortlich aber auch gegenüber den Polizist*innen im Dienst, die in Unterzahl gewaltbereiten Nazi-Hooligans gegenüber standen.

 

Vor 26 Jahren eskalierte rechte Gewalt in Rostock-Lichtenhagen. In diesem Klima der Straflosigkeit herrschte Akzeptanz für Rassismus und neonazistische Aktivitäten. Gibt es da Parallelen zu heute?

Parallelen sicherlich, aber es ist natürlich nicht das geiche. Zunächst einmal würde ich Ministerpräsident Kretschmer nicht unterstellen, dass er die Ereignisse an sich negiert. Er hat ja durchaus betont, dass Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere Gesellschaft sei. Hier sind wir also auch bei Konservativen  durchaus weiter als 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Das gleiche gilt für die Polizei, die nach der Wende anders aufgestellt war. Und rechtsfreie Räume gibt es in dieser Form heute einfach nicht mehr. Hinzu kommt, dass Gegenwehr wahrnehmbar ist. Das war in den 1990er Jahren nicht in dem Maße der Fall . Ein Konzert rettet nicht die Welt, aber 65.000 Leute sind ein klares Zeichen. Was gleich geblieben ist, ist allerdings die Motivationslage, also in der Gesellschaft nachwievor verbreiteter Rassismus und das Potenzial rechter Gewalt.  Außerdem fehlt es leider noch immer an der parteiübergreifenden Bereitschaft sich ernsthaft, dauerhaft und tiefgründig mit Rassismus, Antisemitismus und anderen Vorstellungen der Ungleichwertigkeit sowie mit neonazistischen Strukturen und Aktivitäten auseinanderzusetzen. Stattdessen verharren wir in der verzerrenden Beschreibung des Problems als „Extremismus“, was einer treffenden Analyse und darauf aufbauenden Strategieentwicklung für eine demokratische und offene Gesellschaft leider immer noch im Wege steht.

 

Welche Rolle spielen Pegida, die AfD und “Pro Chemnitz”, Rassismus zu schüren und Leute auf die Straße zu holen?

Eine sehr große Rolle. Das sind die Schlüssel-Organisationen. Pegida hat 2014 und 2015 die Anti-Asyl Proteste, die es vereinzelt gab, geeint. Sie haben die Stimmung zentralisiert und jetzt schon über drei Jahre am Köcheln und permanent in der Öffentlichkeit erhalten. “Pro Chemnitz” gibt es ja schon länger und für die gilt das gleiche. Die AfD bringt das alles auf parlamentarische Ebene, auch auf Bundesebene und ist ein wichtiger Akteur, wenn es darum geht,  rechte Hetze zu legitmieren, die politische Agenda mit ihren Themen zu bestimmen, aber auch um rassistische Sprache zu normalisieren. In Chemnitz hat sie nun auf der Straße den Schulterschluss mit Pegida vollzogen.

 

 

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Splitterpartei "Die Republikaner" wird zur Resterampe für gescheiterte Neonazis

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Splitterpartei „Republikaner“ wird zum Auffangbecken gescheiterter Neonazis, die keiner haben will
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Weil sie sonst keiner haben will: Die eigentlich in der Versenkung verschwundene rechtsextreme Partei „Die Republikaner“ wird zum Auffangbecken für gescheiterte Neonazis.

 

Von Kira Ayyadi

 

Sie erinnern sich noch an die Minipartei „Die Republikaner“ (REP)? Eigentlich dachten auch wir, dass diese Partei mittlerweile in der Bedeutungslosigkeit versunken wäre. Doch seit ein paar Monaten stolperten wir immer mal wieder über diese Splitterpartei. REP ist mittlerweile zu einem Auffangbecken für gescheiterte Neonazis geworden, die sonst keiner haben will. Im speziellen scheint das rechtsextreme Trio von „Thügida“, David Köckert, Alexander Kurth und Jens Wilke, die fast vergessene Partei übernehmen zu wollen.

 

„Unite the right“

Das verwundert allerdings im ersten Moment, schließlich beobachten wir seit geraumer Zeit eine Vereinigung unterschiedlicher rechter und rechtsextremer Szenen. So warben beispielsweise NPD-Mitglieder und Neonazi-Kader ganz offen dafür, bei der Bundestagswahl 2017 die AfD zu wählen und mit den Demonstrationen in Chemnitz und Köthen hat die AfD nun auch öffentlich den Schulterschluss zur rechtsextremen Szene vollzogen. Also warum satteln Köckert und Co. nun das tote Pferd REP?

Weil sie sonst offenbar niemand haben will.

 

Alexander Kurth: Baut Mist bei der NPD, geht zu „Die Rechte“ und landet nun bei REP

Alexander Kurth beispielsweise war ehemals NPD-Funktionär in Leipzig. 2014 hat er in seinem Wahlbezirk in Leipzig allerdings eine Wiederholung der Stadtratswahl ausgelöst, da er sich aufgrund seiner Vorstrafen nicht für die Kommunalwahl hätte aufstellen lassen dürfen. Wegen eines Angriffs 2003 auf Sebastian Krumbiegel, den Sänger der Band „Die Prinzen“ und Ali Ziemer, den Schlagzeuger, wurde Kurth zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. 2009 folgte seine nächste Gefängnisstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung, Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen und Betruges. Der damalige Landesvorsitzende Holger Szymanski der rechtsextremen Partei warf Kurth 2014 vor, für „einen schweren Ansehensverlust der NPD“ verantwortlich zu sein. Es kam damals zu einer öffentlichen Schlammschlacht, zwischen ehemaligen NPDlern, auch Kurth, und der NPD-Führung. Hinzu kam, dass Nachrichten aus Kurths geraubtem Handy 2015 veröffentlicht wurden. Die geleakten Chatverläufe belegen intensive Kontakte von drei Polizeibeamten in die rechtsextreme Szene. Unter ihnen der Vater eines Neonazis, der an der Ermordung des Irakers Kamal K. in Leipzig beteiligt war. Das war alles ziemlich peinlich für Kurth. Kein Wunder also, dass die NPD seither nicht mehr gut auf ihn zu sprechen ist. Kurth verließ Ende 2014 die NPD und kündigte an, sich bei der Splitterpartei „Die Rechte“ (DR) einbringen zu wollen. Allerdings ging auch schon vor vier Jahren des „Einflussgebiet“ der DR kaum über die nordrhein-westfälische Stadt Dortmund hinaus. Besonders in letzter Zeit ähnelt „Die Rechte“ eher einer Art Dortmunder Kameradschaft, denn einer ernstzunehmenden politischen Partei. Um irgendwie auf der rechtsextremen politischen Bühne in Sachsen mitzuspielen eignet sich „Die Rechte“ also nicht, dass hat auch Kurth festgestellt und versucht es jetzt bei den „Republikanern“.

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Mit der schwarzen Sonne im Gesicht: David Köckert, rechts daneben Alexander Kurth am 09.09. in Köthen

 

David Köckert: Kameradschaftler und Ex-AfD-Mitglied hat es sich gründlich mit der NPD verscherzt – letzte Hoffnung REP

Ganz ähnlich verhält es sich bei David Köckert. Viele Jahre galt er als Führungsfigur in der neonazistischen Szene im Vogtland und bewegte sich auch im Umfeld von „Blood & Honour“, wie „thüringenrechtsaussen“ berichtet. In den 1990er Jahren war er der Kopf der Kameradschaft „Braune Teufel“, die sich auch „Alkoholocaust“ nannten. Neben mehreren Verfahren wegen Körperverletzungen gegen politische Gegner, illegalen Rechtsrock-Konzerten und illegalen Nazi-Symbolen wurde gegen Köckert in der Vergangenheit auch wegen Betruges, Versicherungsbetrugs, Kreditkartenbetrugs und Sozialversicherungsbetrugs ermittelt. Später wurde Köckert als Vorsitzender von „Thügida“, eines rechtsextremen Ablegers von Pegida, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird, in ganz Thüringen bekannt. Nach eigenen Aussagen war er damals AfD-Mitglied. Allerdings war er dann bereits seit 2014 Mitglied der NPD, deren Landesorganisationsleiter er bis 2016 war. Kurz vor dem Parteiverbotsverfahren verließ der Greizer Neonazi 2017 die Partei dann auch wieder - jedoch nicht im Guten. Laut „Endstation rechts.“ ging er den Thüringer NPDlern Thorsten Heise an, der damals zum neuen Landeschef gewählt wurde. Köckert  hoffte darauf, dass „man diese Partei eines Tages von innen säubern“ könne. Er sprach von „Maden, die am Knochen der NPD nagen“ würden. Seither tingelte er mit seinem „Thügida“-Auto durch Thüringen. Doch nun scheint auch dieser umtriebige Neonazi eine neue politische Heimat bei den „Republikanern“ gefunden zu haben. David Köckert begründet die Existenz der „Republikaner“ damit, da es eine Alternative zur Alternative für Deutschland geben müsse.

 

Jens Wilke will mit REP nach Brüssel um dort die EU abzuschaffen

Der dritte im Bunde, der es nun noch einmal bei den „Republikanern“ versucht, ist Jens Wilke. Der Versicherungsmakler aus dem Landkreis Göttingen war zunächst Kopf der rechtsextremen Gruppierung „Freundeskreises Thüringen/Niedersachsen“ und der Nachfolgeorganisation „Volksbewegung Niedersachsen“. Gemeinsam mit zwei weiteren Aktivisten dieses Bündnisses war Wilke 2017 wegen Bildung einer bewaffneten Gruppe angeklagt. Zu jener Zeit hatte Wilke bereits bei der Kommunalwahl im September 2016 für die NPD als Landrat kandidiert.

Doch mittlerweile ist auch Wilke zu den „Republikanern“ gewechselt. Am vergangenen Sonntag wurde er zum neuen niedersächsischen Landesvorsitzenden gewählt. Wilke befindet sich derzeit auf Listenplatz drei für die anstehende Europawahl.

 

Beobachtung durch den Verfassungsschutz?

 

„Die Republikaner“ wurden 1992 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft und wurden daher vom Verfassungsschutz beobachtet. Im Jahr 2006 wurde die Einstufung als rechtsextrem aufgehoben. Mit den neuen Parteimitgliedern könnte sich das Interesse des Verfassungsschutzes an REP wieder ändern.

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Gegendarstellung: Ja, wir finden den Schutz Engagierter wichtiger als Debatten mit Rechtsaußen

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DHMD
https://www.dhmd.de/veranstaltungen/tagung-die-neue-mitte/

Bei der Tagung „Die neue Mitte? Rechte Ideologien und Bewegungen in Europa“ vom 17. bis 19. September 2018 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden hat Belltower.News-Chefredakteurin Simone Rafael eine extrem rechte Provokteurin aus ihrem Workshop ausgeschlossen. Die rechte Sphäre raunt: Angst vor der Debatte? Wir können spoilern: Nein, das ist es nicht.

 

Gegendarstellung der Amadeu Antonio Stiftung

 

Bei der Tagung „Die neue Mitte? Rechte Ideologien und Bewegungen in Europa“ vom 17. bis 19. September 2018 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, war die Amadeu Antonio Stiftung eingeladen, ihr Expert*innen-Wissen in verschiedenen Panels einfließen zu lassen.

Die Tagung wurde veranstaltet von vielen wissenschaftlich renommierten Trägern (s.u.) und war angekündigt als „Angebot aus Vorträgen und Workshops“, die sich „vor allem an jene [richtet], die in ihren beruflichen und privaten Kontexten mit diesen Herausforderungen konfrontiert werden. Auf der Tagung erhalten sie Hintergrundinformationen zu den einzelnen Akteuren und Strukturen und lernen Strategien für ihre tägliche Arbeit kennen.“ In der Einladung war auch eine Ausschlussklausel gegen rechtsextreme Akteur*innen enthalten, die gegebenenfalls der Veranstaltung verwiesen werden könnten.

Allerdings ist es immer eine Ermessensfrage, wer ein rechtsextremer Akteur ist, und die stellt sich offenbar umso mehr in Sachsen. Hier wirkt „Pegida“ seit 2014, und die rechtspopulistische bis rechtsextreme Szene versucht mit zahlreichen Repressionsstrategien, Angst bei zivilgesellschaftlichen Organisationen, Wissenschaftler*innen, Pädagog*innen und Medien zu erzeugen.

Umso wichtiger erscheint uns  der Moment der Stärkung dieser zivilgesellschaftlichen Strukturen, die sich gegen Menschenfeindlichkeit in Sachsen engagieren. Und das heißt konkret, einen geschützten Raum zum Austausch zu bieten. So ein Raum ist nur möglich, wenn keine Vertreter*innen der extremen Rechten anwesend sind. Denn die sind nie anwesend, um zuzuhören und sich auszutauschen, sondern entweder, um sofort den Diskurs der Demokrat*innen zu beeinflussen – oder später das Gehörte gegen die Anwesenden zu verwenden.

 

Durch die Ereignisse in Dresden fühlen wir uns in dieser Einschätzung bestätigt.

 

Zu einem Workshop am Mittwoch, den 19.09.2018, zum Thema „Echokammern und Filterblasen: Vernetzung über Social Media“, hatte sich Susanne Dagen angemeldet, Dresdner Buchhändlerin des „Buch- und Kulturhaus Loschwitz“, der lange Zeit „Pegida“-Nähe nachgesagt wurde und die 2017 nach der Frankfurter Buchmesse mit einer „Charta 2017“ im Namen der Meinungsfreiheit für den rechsextremen Antaios-Verlag in die Bresche sprang. Aufgrund dieser Nähe zu extrem rechten Bewegungen darf angezweifelt werden darf, dass Dagen Rechtspopulismus als „Herausforderung“ definiert hätte, mit der sie „konfrontiert werde“.

Seit 2017 hat Dagen allerdings jedwede Berührungsängste gegenüber der rechtsextremen Szene fallen lassen: Sie lässt sich etwa in rechtsextremen „alternativen“ Medien wie dem Compact-Magazin interviewen und von der rechten Sammlungsbewegung „Ein Prozent“. Inzwischen sind die Verbindungen zur offen rechtsextremen Szene institutionalisiert: Gemeinsam mit dem weiblichen Gesicht  der rechtsextremen, selbst ernannten „Neuen Rechten“, Ellen Kositza (Ehefrau von Götz Kubitschek, u.a. Antaios-Verlag, Institut für Staatspolitik, Sezession), moderiert Susanne Dagen ein Literatur-Magazin auf YouTube namens „Aufgeblättert. Zugeschlagen. Mit Rechten lesen.“

Wer mit rechtsextremen Vordenkern wie Ellen Kositza genug Gemeinsamkeiten sieht, um Kooperationsprojekte umzusetzen, macht damit seine Nähe zur rechtsextremen Gesinnung und seine Verachtung für die Demokratie und Menschenrechten deutlich. Teilnehmende des Workshops, darunter People of Color, äußerten, dass sie die Teilnahme Dagens unter Druck setze und sie Hemmungen hätten, sich dann frei zu äußern. Auf dieser Grundlage wurde Susanne Dagen von Workshop-Leiterin Simone Rafael vor der Tür freundlich und bestimmt gebeten, von einer Teilnahme abzusehen, weil für uns der Schutz von Engagierten auf einer Tagung, die für diese Zielgruppe konzipiert war, Vorrang hat. Susanne Dagen behielt sich daraufhin vor, sich beim Veranstalter zu beschweren, was ihr freigestellt wurde. Der Workshop wurde daraufhin in einer konstruktiven Atmosphäre abgehalten.

Interessant allerdings: Dagen wurde offenbar von einem Mann namens Michael Kunze begleitet, der sofort vom Ausschluss twitterte und kurz darauf einen Artikel darüber im Online-Portal der „Sächsischen Zeitung“ veröffentlichte. Dabei verwendete er in der rechten Sphäre beliebte Formulierungen über die Amadeu Antonio Stiftung wie „für die bis in bürgerliche Kreise umstrittene Amadeu-Antonio-Stiftung“ oder „Stiftungsgründerin Anette Kahane steht seit Jahren in der Kritik, da sie für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet hat“.

Das legt die Vermutung nahe, dass Dagen sich der Provokation ihrer Tagungsteilnahme  bewusst war und mit medialer Begleitung auf eine Gelegenheit gewartet hat, dies als angeblichen Angriff auf die Meinungsfreiheit und mangelnde Diskursbereitschaft demokratischer Strukturen zu nutzen. Wie gut das funktioniert, lässt sich derzeit in der rechten Sphäre etwa auf Twitter und Facebook beobachten, wo diverse auch prominente Akteure dieser Szene den Spielball gern aufnehmen, um eine demokratische Institution wie die Amadeu Antonio Stiftung zu verunglimpfen. Dabei bleibt es nicht bei Hasstiraden in Sozialen Netzwerken, es gibt etwa auch Aufrufe, Fördermittelgeber zu bestürmen, nicht mehr mit uns zusammenzuarbeiten. Wir kennen diese Taktiken bereits von früheren Gelegenheiten (mehr dazu in Kürze auf Belltower.News).

Warum bis zum dritten Tag der Veranstaltung keiner der Referent*innen und Veranstalter*innen einen Grund sah, Susanne Dagen auszuschließen, können wir nicht beantworten. Dass dabei zumindest bei einigen die Angst vor genau so einem Shitstorm mitspielt, lässt sich vermuten. Unsere Solidarität gilt daher den Menschen, die tagtäglich in Sachsen für Demokratie arbeiten!

Zur Motivation der Referentin Simone Rafael sei noch gesagt: Es geht nicht um eine mangelnde Bereitschaft, mit Rechten zu diskutieren – das tut Rafael, wenn es nötig ist, online und offline seit vielen Jahren. Es geht darum, Menschen zu schützen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Sie brauchen Räume, in denen Sie sich vernetzen, austauschen und stärken können für die kräftezehrende Alltagsarbeit für Demokratie, in Sachsen und überall.

Wir nehmen nach der Tagung in Dresden zur Kenntnis, dass dies sogar bei entsprechend ausgelegten Fachtagungen offenbar nicht mehr Konsens ist. Diese Entwicklung empfinden wir als gefährlich für die demokratische Kultur und demokratische Strukturen vor Ort.

 

 

Veranstalter der Tagung waren das Deutschen Hygiene Museum Dresden in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Mercator Forum Migration und Demokratie an der TU Dresden, dem Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden, dem TRAWOS-Institut der Hochschule Zittau/Görlitz, dem Kulturbüro Sachsen e.V. und der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen.

 

Im Einladungstext heißt es im Wortlaut:

„Mit einem breiten Angebot aus Vorträgen und Workshops richtet sich die Tagung vor allem an jene, die in ihren beruflichen und privaten Kontexten mit diesen Herausforderungen konfrontiert werden. Auf der Tagung erhalten sie Hintergrundinformationen zu den einzelnen Akteuren und Strukturen und lernen Strategien für ihre tägliche Arbeit kennen. Die Tagung ist im sächsischen Fortbildungs-Onlinekatalog für Pädagog*innen unter der Veranstaltungsnummer EXT04294 als Fortbildung ausgewiesen.“

 

Belege für die Angaben im Text

(Wir verlinken ausnahmsweise auf die extrem rechten Originalquellen):

 
Text: Simone Rafael

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"Pro Chemnitz"-Teilnehmer greifen Journalisten und "Rothaus" an

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Die sechste "Pro Chemnitz" Kundgebung
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Tim Mönch

Am Freitagabend fand erneut eine Demonstration der rechtspopulistischen Partei "Pro Chemnitz" statt. Während der Demonstration kam es zu einem Angriff auf das Gebäude des Rothaus e.V. sowie zu Übergriffen auf einen anwesenden Journalisten. Die Polizei drohte ihm mit einem Platzverweis.

 

Von Tim Mönch

 

Während die Demonstration von Pro Chemnitz um die Innenstadt zog, hatte der Gegenprotest die Veranstaltung im Stadthallenpark bereits beendet. Der Pressesprecher des Bündnis Chemnitz Nazifrei sowie der Vorsitzende der Chemnitzer Linkspartei waren auf dem Weg durch die Innenstadt, als sie laut eigenen Berichten von einer Gruppe von fünf bis acht Neonazis verfolgt und angegriffen wurden und daraufhin in das nahegelegene „Rothaus“ flüchteten. Die Gruppe folgte ihnen, bewarf die Eingangstür mit Eiern und schmiss die Scheibe eines ungenutzten Raums im ersten Stock ein. Verletzt wurde niemand. Das angegriffene Gebäude des Rothaus e.V. wird von verschiedenen Gruppen und Initiativen genutzt, außerdem haben mehrere Bundes- und Landtagsabgeordnete der Partei Die Linke dort ihre Büroräume.

An der parallel verlaufenden Demonstration von Pro Chemnitz nahmen laut der Polizei bis zu 2.500 Menschen teil, darunter viele Teilnehmer aus rechten Strukturen in ganz Sachsen, wie dem rechten Bündnis „Wellenlänge Heidenau“ oder dem teilweise vom Verfassungsschutz beobachteten Verein „Heimattreue Niederdorf“. Mitglieder dieser Strukturen waren, wie in den vergangenen Wochen auch, wieder für die Ordnerdienste zuständig.

Im Nachgang der letztwöchigen Demonstration war es am Schlossteich nahe der Innenstadt zu einem Übergriff durch eine selbsternannte Bürgerwehr auf Migranten gekommen. Die Täter sollen die Personalausweise der anwesenden Personen verlangt haben und dann handgreiflich geworden sein. Robert Andres, Anmelder der Demonstration, distanzierte sich in seinem Redebeitrag von diesem Angriff, kündigte aber gleichzeitig an, man wolle in Zukunft Bürgerstreifen organisieren, um für Sicherheit in der Stadt zu sorgen. Dafür wurde eine Handynummer verlesen, über die die Bürgerstreifen sowie Seminare zur Vorbereitung inklusive Selbstverteidigungstrainings organisiert werden sollen. Damit springt "Pro Chemnitz" auf das Konzept der Bürgerwehren auf, dass durch die „Schutzzonen“-Kampagne der NPD gerade ein Revival erlebt.

Am Rande der Versammlung von Pro Chemnitz kam es erneut auch zur Bedrohung von Journalist*innen, wie es seit Beginn der rassistischen Demonstrationen in Chemnitz fast immer der Fall ist. Immer wieder wurde der betroffene Journalist von Demonstrationsteilnehmer*innen, unter anderem dem Chemnitzer AfD-Kreisvorstandsmitglied Nico Köhler, angegangen, bedrängt und bedroht. Besonders tat sich dabei der Dresdner Rechtsanwalt Jens Lorek hervor, der mehrfach von der Polizei aufgefordert werden musste, den Pressevertreter seine Arbeit machen zu lassen. Lorek ist seit Jahren bei Pegida in Dresden aktiv und erlangte einige spöttische Aufmerksamkeit, als er das damals neue „Zählsystem“ der Organisatoren gegenüber der Morgenpost vorstellte und vor laufender Kamera zu sehen war, wie eine Demonstrantin mehrere Münzen in die grüne Tonne warf – ein Vorgang, den der Rechtsanwalt gerade erst dementiert hatte. 

Als es am Freitagabend zu einem tätlichen Angriff auf den Journalisten kam, war es auch Jens Lorek der den Täter mit weiteren Ordnern deckte und gegenüber der Polizei sagte, er habe von dem Schlag gegen den Reporter nichts gesehen. Im Nachgang zu dieser Tätlichkeit, von der die Polizei nichts gesehen hatte, wurde dem Journalisten von einem der Polizisten zu verstehen gegeben, dass er, wenn er durch das Anfertigen von Fotos weiter die Demonstrationsteilnehmer*innen provoziere, mit einem Platzverweis zu rechnen habe. Nach den Vorfällen des LKA-Mitarbeiters, der ein Kamerateam des ZDF bedrängt hatte, das danach 45 min von der Polizei an ihrer Arbeit gehindert wurde, sollte das Presserecht der Polizei eigentlich bekannt sein. Rechte bedrängen immer wieder Journalisten, um die ihnen unliebsame Berichterstattung zu unterbinden. Ein vor ihren Augen angedrohter Platzverweis zeigt ihnen, dass sie mit ihrer Einschüchterungstaktik Erfolg haben können, wenn die Polizei mitspielt. Der Pressesprecher der Chemnitzer Polizei sagte gegenüber dem betroffenen Journalisten später, dass seine Arbeit natürlich von der Polizei geschützt werden würde.

Einen weiteren Ausrutscher erlaubte sich die Polizei am „Rothaus“, als einer der anwesenden Beamten der Kriminalpolizei Vermutungen anstellte, dass es sich nicht um einen Angriff durch Neonazis gehandelt haben muss, sondern die Scheibe auch durch den Wind beschädigt worden sein könnte. Mit den letztwöchigen Übergriffen und dem Angriff auf das Rothaus setzt sich unterdessen die Reihe von Gewalttaten im Umfeld der Demonstrationen von Pro Chemnitz fort.

 

Die Bilder der 6. "Pro Chemnitz" Kundgebung von Tim Mönch:

6. Pro Chemnitz Demonstration 21.09.2018 in Chemnitz

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"Revolution Chemnitz": Für die mutmaßlichen Rechtsterroristen war der NSU eine Stümpertruppe

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Der "Probelauf" der mutmaßlichen Terrorzelle fand am Rande einer "Pro Chemnitz"-Demonstration am 14.09.2018 statt
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Sieben Männern aus der Neonazi- und rechtsextremen Hooligan-Szene wird vorgeworfen unter dem Namen „Revolution Chemnitz“ eine Terrorgruppe gebildet zu haben. Bei einem „Probelauf“ kam es bereits zu Angriffen auf Migrant*innen. Die mutmaßliche Terrorzelle strebte nach einem rechtsextremen Umsturz der Bundesrepublik.   

 

Von Kira Ayyadi

 

Wie die Bundesanwaltschaft am Montagmorgen mitteilte, hat sie in Sachsen und Bayern sechs Männer festnehmen lassen. Außerdem wurden mehrere Wohnungen und Räume in Sachsen durchsucht. Gemeinsam mit einem siebten Mann, Christian K., der Führungsfigur der Gruppe, sollen sie unter dem Decknamen „Revolution Chemnitz“ eine Terrorvereinigung gebildet haben.

 

Die vermeintlichen Rechtsterroristen sollen bereits bei einem „Probelauf“ am Rande einer „Pro Chemnitz“-Demonstration am 14.09.2018 Migrant*innen angegangen haben. Bewaffnet mit Glasflaschen, Quarzhandschuhen und einem Elektroimpulsgerät sollen sie gemeinsam mit weiteren gewaltbereiten Neonazis auf der Schlossteichinsel in Chemnitz mehrere Migranten angegriffen und verletzt haben. Ein Opfer, ein Iraker, wurde durch den Wurf einer Glasflasche am Hinterkopf verletzt. Weil die mutmaßlichen Täter auch Ausweise kontrollierten haben sollen, wurden sie von der Polizei als „Bürgerwehr“ bezeichnet. Der Rädelsführer Christian K. sitzt seit dem Angriff in Untersuchungshaft.

 

 

 

Bei einem “Probelauf” wurden Migrant*innen angegriffen. Der große Coup sollte am 3. Oktober folgen

“Der Übergriff sollte den Ermittlungen zufolge ein ‘Probelauf’ für ein von den Beschuldigten für den 3. Oktober 2018 geplantes, in seinen Einzelheiten aber noch nicht näher aufgeklärtes Geschehen sein“, gab die Bundesanwaltschaft am Montag bekannt. Sie sollen Angriffe auf Migrant*innen und Andersdenkende beabsichtigt haben und sich offenbar zu diesem Zweck um halbautomatische Schusswaffen bemüht haben. Doch die Ermittler gehen davon aus, dass es der Gruppe um mehr ging. Ziel der Gruppe sei die Beseitigung des demokratischen Rechtsstaats gewesen. Laut Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ gehen die Fahnder*innen davon aus, dass gewaltsame Attacken auf Politiker*innen, Journalist*innen und andere Menschen folgen sollten, die in der Öffentlichkeit für den freiheitlichen Rechtsstaat stehen.

 

Mindestens einer der Beschuldigten wurde nicht erst in jüngster Zeit radikalisiert: Tom W., einer der Beschuldigten, stand bereits vor zehn Jahren vor Gericht. Er war einer der Köpfe der 2007 verbotenen rechtsextremen Kameradschaft„Sturm 34“. Polizeiangaben zufolge gehen allein in den ersten vier Monaten des Jahres 2007 rund 70 Straftaten auf das Konto von „Sturm 34“, darunter Körperverletzungen, Bedrohungen und Volksverhetzung. Tom W. war schon vor über zehn Jahren in einer Art Bürgerwehr, der „Streifen für ein ausländerfeindliches Mittweida“, aktiv.

 

„Revolution-Chemnitz ANW“-Gruppe auf Facebook

Auf Facebook gibt es zwei Seiten, die sich „Revolution Chemnitz“ nennen. Wobei die eine Gruppe bis 2013 bespielt wurde,  und danach gingen die Aktivitäten auf der Seite „Revolution-Chemnitz ANW“ weiter. So beobachtet es Miro Dittrich, Monitoring-Experte der Amadeu Antonio Stiftung. „Zwar wissen wir zum jetzigen Stand nicht, ob die mutmaßlichen Rechtsterroristen in dieser Gruppe aktiv waren, klar ist jedoch, dass hier eindeutig nationalsozialistische Ideologie verbreitet wird und dass sich die Mitglieder eine gewaltsame Revolution herbeisehnen“, so Dittrich. Allerdings spricht die Bundesanwaltschaft davon, dass sich die Beschuldigten spätestens am 11. September zur Gruppierung „Revolution Chemnitz“ zusammengeschlossen haben.  

 

Im Rahmen der Ereignisse in Chemnitz wurde öffentlich lange Zeit eine irreführende Debatte darum geführt, ob es sich um „Hetzjagden“ auf Migranten gehandelt hat. Das eigentliche Problem, dass ein rechtsextremer Mob menschenverachtende Parolen skandierend durch die Innenstadt zog, wurde dadurch verdrängt. Wenig überraschend, aber dennoch erschreckend ist es, dass sich zu diesem braunen Mob nun offenbar eine rechtsextreme Terrorzelle gehört. Bei Mobilisierungen für rechtsextreme Kundgebungen mit solcher Dynamik wie in Chemnitz besteht immer die Gefahr, dass sich in ihrem Dunstkreis rechtsextreme Terrorzellen bilden. Auch da solche Demonstrationen der Vernetzung der rechtsextremen Szenen dienen.

 

Den mutmaßlichen Rechtsterroristen von “Revolution Chemnitz” ging es, anders als den Rechtsterrorist*innen des “Nationalsozialistischen Untergrundes” (NSU), um mehr als um die Vertreibung von Migrant*innen, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“. Die mutmaßlichen Terroristen hätten die Gesetze des Rechtsstaats außer Kraft setzen wollen. Sie wollten nicht nur Angst und Schrecken verbreiten wie der NSU, sie wollten die Gesellschaft in Gänze umkrempeln. In der internen Kommunikation der Gruppe, über die die Süddeutsche Zeitung berichtet, fiel dabei die Aussage, dass der NSU nur eine “Stümpertruppe” gewesen sei.

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Gewaltaffine Neonazis trafen sich am Wochenende beim "Kampf der Nibelungen" in Ostritz

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Am vergangenen Wochenende fand im sächsischen Ostritz das völkisch-faschistoide Kampfsport-Event „Kampf der Nibelungen“ statt. Rund 700 Teilnehmer*innen reisten aus allen Teilen Deutschlands und dem europäischen Ausland an: ein ziemlich gewaltbereites und gefährliches Publikum. Wenige Meter entfernt auf dem Marktplatz wurde auf einem „Friedenslauf“ Geld für Aussteigerprogramme gesammelt. 

 

Von Zamira Alshater

 

Am 13.10.2018 fand im sächsischen Ostritz, an der Grenze zu Polen, das faschistische Kampfsport-Event „Kampf der Nibelungen” (KdN) statt. Die rund 700 Teilnehmer*innen reisten aus verschiedenen Teilen Deutschlands und Europas sowie aus der Ukraine und Russland an. Auffallend war, dass im Vergleich zu Rechtsrock-Veranstaltungen überdurchschnittlich viele Frauen dabei waren. 

 

Kampfsport-Events erfreuen sich großer Beliebtheit in der gewaltaffinen Neonazi-Szene

Kampfsport genießt unter militanten Neonazis eine unverändert hohe Popularität. Die Besucher*innen und Teilnehmer*innen des Turniers in Ostritz verbindet die Vorliebe für brutal ausgetragene Kämpfe in den Bereichen MMA (Mixed Martial Arts), Boxen und K1 (Regelwerk für verschiedene  Kampfsportarten). Mindestens eine genauso große Rolle wie der sportliche Aspekt spielt die politische Komponente der Veranstaltung. Auf der Website behaupten die Veranstalter*innen, dass andere MMA-Events sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen würden. Dieses „Problem“ haben Neonazis beim „Kampf der Nibelungen“ schon mal nicht. Hier will man den  „Sport nicht als Teil eines faulenden politischen Systems verstehen, sondern diesen als fundamentales Element einer Alternative zu eben jenem etablieren und in die Breite tragen“, heißt es auf der Website weiter.

Mehr noch als in anderen Sportarten kann beim MMA durch den direkten Körperkontakt ein antiquiertes Männlichkeitsbild sowie der dort vorherrschende Körperkult ausgelebt werden. Der KdN dient aber immer öfter auch als Plattform zur Rekrutierung und für eine internationale Vernetzung der extremen Rechten.

 

Der Veranstaltungsort: Das Hotel „Neisseblick“ in Ostritz

Veranstaltungsort war das Gelände des Hotels „Neisseblick“, direkt an der polnischen Grenze. Im April fand hier bereits das „Schild und Schwert“-Festival (SS-Festival) von NPD-Mann Thorsten Heise statt, auf dem den rechtsextremen Teilnehmer*innen bereits Kämpfe des KdN geboten wurden. Eigentümer des Hotels ist das ehemalige NPD-Mitglied Hans-Peter Fischer, der auch als „Herbergsvater der NPD“ bezeichnet wird.

 

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Hans-Peter Fischer

Szene-Externe sowie Journalist*innen waren unerwünscht, man wollte unter sich bleiben. Und so war das gesamte Gelände gut abgeschirmt vor neugierigen Blicken. Die angefahrenen Besucher*innen wurden schnell durch die Schleusen am Eingang des Hotels geleitet und konnten auf dem Gelände parken. Obwohl die Öffentlichkeit auch am Samstag kaum etwas vom Treiben im Inneren mitbekommen hat, fanden die vorigen KdN-Veranstaltungen noch klandestiner statt. Mit der Veranstaltung in Ostritz haben die KdN-Verantwortlichen erstmals (wenn man das Programm beim SS-Festival nicht dazu rechnet) den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt.  

 

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Neonazi-Labels und eine Hooligan-Plattform als Sponsoren des KdN

Die Sponsoren vom „Kampf der Nibelungen“ sind einschlägige Modemarken aus der extrem rechten Kampfsport-Szene: „Greifvogel Wear“ (Gründer ist der Dresdener Neonazi Sebastian Raack), „Sport Frei“ (die rechte Hooligan-Marke von Henrik Ostendorf, der Bruder des „Kategorie C“-Sängers), „Black Legion“ und „Pride France“ (gegründet vom umtriebigen französischen Neonazi Tomasz Skatulsky in Lyon). Als neuer Unterstützer ist die Plattform „GruppaOF“ hinzugekommen. Über soziale Netzwerke hält „GruppaOF“ die Hooligan-Szene täglich mit aktuelle Fotos, Videos und Insiderinformation zu europäischen Hooligan-Kämpfen auf dem Laufenden.

 

Die russische Kampfsport-Marke „White Rex“ von Denis Nikitin

Erstmals war die russische neonazistische Kampfsport-Marke „White Rex“ offiziell Mitveranstalter des Events. Gegründet durch Denis Nikitin, ist es mittlerweile ein Netzwerk international organisierter Neonazis, die sich durch Kraft- und Kampfsport, körperliche und geistige Ertüchtigung für den Nahkampf, beziehungsweise den von Neonazis oft beschworenen „Heiligen Rassenkrieg“ vorbereiten. Marken-Gründer Nikitin leitete außerdem einige Seminare in Deutschland und in der Schweiz, deren Teilnehmer*innen in lokalen, extrem rechten Organisationen und Parteien verankert sind. Nikitin will mit seiner Marke Kampf- und Kraftsport, kombiniert mit einer gesunden Lebensführung, in der europäischen Neonazi-Szene etablieren, damit diese wehrhafter wird. Auf dem Blog „Runter von der Matte“ heißt es, „White Rex“ gelte als Stichwortgeber in der neonazistischen Kampfsport-Szene. 

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Links: Label von "White Rex"

Der Veranstalter: Alexander Deptolla

Anmelder der geschlossenen Veranstaltung war der neonazi Alexander Deptolla. Er gilt als der Hauptverantwortliche des KdN. Deptolla ist nicht nur eine Führungsperson der rechten Szene in Dortmund, sondern auch eng an die „Hammerskins“ – insbesondere Malte Redeker– angebunden. Er soll unter anderem der Führungsebene des inzwischen verbotenen „Nationalen Widerstands Dortmund“ angehört haben.

 

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Alexander Deptolla

 

Ordnerdienst von einem umtriebigen „Combat 18“-Aktivisten

Neben Deptolla waren weitere Neonazis aus dem Ruhrgebiet in die Organisation der Veranstaltung eingebunden. Im Ordnerdienst war unter anderem der Neonazi Robin Schmiemann eingesetzt. Schmiemann ist Teil des neonazistischen paramilitärischen Netzwerkes von „Combat 18“. Nach Recherchen von „Exif“ reist Schmiemann als Art Manager von „Combat 18“ durch Europa. Während eines Raubüberfalls auf einen Supermarkt 2007 hätte er einen 60-jährigen migrantischen Kunden mit Schüssen in Brust und Bein um ein Haar getötet. Schmiemann wurde damals zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Eine Brieffreundschaft zur verurteilten NSU-Terroristin Beate Zschäpe zeugt von einer tiefen Vertrautheit der beiden.  

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Robin Schmiemann mit Tattoo eines Truppenabzeichens der SS-Division „Dirlewanger“. Heute auch Erkennungszeichen von Thorsten Heises „Arischer Bruderschaft“.

 

Unter den Besuchern: Sven Kahlin, der Mörder des Dortmunder Punks „Schmuddel“

Unter den rechtsextremen Besucher*innen des Events war auch Sven Kahlin. Am 28. März 2005 erstach Kahlin in Dortmund den 17-jährigen Punk Thomas Schulz, genannt „Schmuddel“. Nach fünf Jahren Gefängnis wurde er vorzeitig entlassen. 2013 folgte für den gewalttätigen Neonazi die nächste Gefängnisstrafe, weil er 2011 auf zwei migrantische Jugendliche losgegangen war und einen niedergeschlagen hatte. 

 

 

KdN-Teamfights beim nächsten SS-Festival in Ostritz

Im Rahmen der zweiten Auflage des „Schild und Schwert“-Festivals am 2. und 3. November in Ostritz ist abermals ein Turnier des KdN angekündigt. Erstmals in Deutschland sollen an diesem Wochenende sogenannte „Teamfights“ ausgetragen werden. MMA-Kämpfe bei denen mehrere Personen pro Team gleichzeitig im Ring stehen und gegeneinander kämpfen.  

Etwas ungewöhnlich war, dass am Samstag parallel zum KdN zwei weitere MMA-Events in Sachsen stattgefunden haben, beide in Plauen. Beide Sportveranstaltungen gelten als rechtsoffen: Die Veranstalter haben keine Berührungsängste zu offen rechtsextremen Kämpfern und Teilnehmer*innen. 

 

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Auch NPD-Politiker mit Auschwitz-Tatoo auf dem Rücken war in Ostritz: Marcel Zech, Mitglied der rechtsextremen Gruppe "Barnimer Freundschaft 25" 

“Ihr Konzept ist nicht gänzlich aufgegangen”

Lange Jahre galten beinahe ausschließlich konspirativ organisierte Rechtsrock-Konzerte als Schwerpunkt der rechten Erlebniswelt. Heute zählen auch eigene Kampfsportveranstaltungen zum Repertoire der rechtsextremen Szene. Der KdN spricht vor allem die Gewaltaffinität der Szene an, dient aber immer öfter auch als Plattform für eine internationale Vernetzung der extremen Rechten. Außerdem müssen wir annehmen, dass die Neonazi-Szene sich mit derartigen Veranstaltungen an kampfsportbegeisterten Nachwuchs wenden möchte.

Hooligan-Experte Robert Claus merkt jedoch an, dass es dem KdN nicht gelungen ist, größere Massen der rechtsextremen Hooligan-Szenen anzusprechen: „Bereits im Vorjahr konnte der KdN über 600 Besucher*innen nach Kirchhundem im Sauerland ziehen. Jetzt, nach ihrem Umzug nach Sachsen, ihrem Gang in die Öffentlichkeit und im Zuge ihrer Professionalisierung, wuchsen sie nur um knapp 100 Besucher*innen. Für mich bedeutet das: Ihr Konzept ist nicht gänzlich aufgegangen.“

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Dennoch verdienen die Aktivitäten in diesem Bereich besondere Aufmerksamkeit. Ähnlich wie beim Rechtsrock besteht hier das Risiko, dass die Veranstaltungen durch ihren verschworenen Charakter der stetigen Verfestigung der völkisch-faschistischen Ideologie dienen können. Außerdem liegt eine ganz konkrete Gefahr in kampfsporterprobten Neonazi-Aktivist*innen, wenn diese ihre „gewöhnlichen“ politischen Aktivitäten auf die Straße tragen.

 

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„Friedenslauf“ auf dem Marktplatz

Nur wenige Meter entfernt zeigten große Teile der demokratischen Ostritzer Zivilgesellschaft den Neonazis jedoch, dass sie in ihrer Kleinstadt nicht willkommen sind. Von 10 bis 16 Uhr fand auf dem Marktplatz ein Friedenslauf statt. Viele der Läufer*innen trugen Trikots mit dem Satz „Ich laufe für Nazi-Aussteigerprogramme“. Für jede Runde auf dem Ostritzer Marktplatz bekamen die Läufer*innen einen Euro, der auf ein Spendenkonto eingezahlt wird. Der Erlös fließt in Neonazi-Aussteigerprogramme und die Finanzierung des zweiten Ostritzer Friedensfestes am 2. bis 4. November, einer Gegenveranstaltung zum parallel stattfindenden zweiten Auflage vom "Schild und Schwert"-Festivals in der Kommune.

 
 

"Kampf der Nibelungen" am 13.10.2018 in Ostritz

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SS-Festival: “Pumper-Mucke” für Neonazis in Ostritz

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Neonazis auf dem SS-Festival im April 2018
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Am Wochenende, vom 2. bis zum 3. November, geht das Neonazi-Festival „Schild & Schwert“ in Ostritz in die zweite Runde. Doch wie bereits im April wollen die Bürger*innen den Hass der Rechtsextremen nicht unwidersprochen lassen und feiern nur wenige Meter entfernt ein Friedensfest.

 

Samira Alshater 

 

Wohl kaum zufällig an Adolf Hitlers 129. Geburtstag im April feierten etwa 1.100 Neonazis ihre Menschenverachtungüber zwei Tage auf dem „Schild & Schwert“-Festival im sächsischen Ostritz, das wohl genauso wenig zufällig mit SS-Festival abgekürzt wird. Auf dem „Schild & Schwert“-Festival sollen Bands aus dem „Blood & Honour“-Netzwerk spielen, MMA-Kämpfer gegeneinander antreten, Redebeiträge gehalten und neonazistisches Merchandise angeboten werden. Auch eine Syrien-Ausstellung ist angekündigt.

Für die neonazistische Szene sind Rechtsrock-Konzerte der ideale Ort, um sich zu vernetzen. Mit dem breiten Angebot sollen jedoch auch die Kassen der Neonazis klingeln. Das als politische Versammlung angemeldete Festival kostet zwischen 20 Euro (Freitagabend-Ticket) und 45 Euro (Wochenend-Ticket) Eintritt. Fantickets mit der Möglichkeit den rechtsextremen Politikern und Bands ganz nah sein zu können, kosten 195 Euro.

Genau wie im April, wird auch die zweite Auflage auf dem Gelände und in den Räumlichkeiten des Ostritzer „Hotel Neißeblick“ stattfinden. Anmelder des Events ist, wie schon im April, NPD-Vize Thorsten Heise.

 

MMA-Teamfights wurden abgesagt

Das SS-Wochenende der Neonazis soll am Freitagabend mit einem MMA-Show-Kampf, des faschistischen „Kampf der Nibelungen“ (KdN) beginnen. Erst vor wenigen Wochen fand hier deren Großevent mit rund 700 rechtsextremen Besucher*innen statt. Hinter dem „Kampf der Nibelungen“ verbirgt sich eines der größten europäischen, offen nazistischen Kampfsportevents. Verbindendes Ziel der Kämpfer ist die Vorbereitung auf einen „Endkampf der Kulturen“, den sie in Zukunft auf die Straße tragen wollen. Die Besucher*innen und Teilnehmer*innen des Turniers im Oktober in Ostritz verband die Vorliebe für brutal ausgetragene Kämpfe in den Bereichen MMA (Mixed Martial Arts), Boxen und K1 (Regelwerk für verschiedene Kampfsportarten).

Und auch dieses Wochenende gibt es wieder Show-Kämpfe des KdN und eigentlich hätte es eine Premiere sein sollen: Das erste Mal in Deutschland sollten hier am Freitag MMA-Teamfights stattfinden, bei denen drei Kämpfer pro Team gegen ein anderes Team antreten – eine rechtliche Grauzone, da es bisher noch keine Teamfight-Regularien in Deutschland gibt. Am Donnerstagabend teilte der KdN über Social Media jedoch mit, dass die Teamfights aus Krankheitsgründen ausfallen werden. Möglich ist jedoch auch, dass sich nicht genügend Kämpfer angemeldet haben. Statt den Teamfights soll nun ein „Alternativ-Programm“ angeboten werden.    

 

 

„Pumper“-Mukke für Neoazis

Anschließend sollen NS-Hardcore-Bands auftreten. Passend für das Programm am Freitag bedienen die Bands „Feher Törveny“ aus Ungarn, „Burning Hate“, „Painful Life“ und „Terrorsphära“ musikalisch das Kampfsport-Publikum. Besonders „Terrorsphära“ gilt als eng vernetzt mit der rechtsextremen Kampfsport-Szene. Im „Antifa Infoblatt“ heißt es, dass die Band mit ihrem Song „Kampfansage“ „im wahrsten Sinne des Wortes den Soundtrack zum Kampf“ geliefert haben. „Im Zuge der Etablierung von Kampf- und Kraft­sport in der Neonazi-Szene, besetzte die Band schon früh die Nische als Begleitmusik dieser Szene.“

 

Am Samstag werden eher klassische Rechtsrock-Bands auftreten, unter anderem „PWA“ (Preserve White Aryans) aus Estland, „Nahkampf“, „Lunikoff Verschwörung“, „Sturmwehr“, „Sleipnir“, „AOV“ (Act of Violence) und „Flak“. Umrahmt wird das Großevent, das als politische Veranstaltung angemeldet ist, von politischen Reden, unte randerem vom NPD-Europaabgeordneten Udo Voigt, vom Bundeschef der rechtsextremen Splitterpartei „Die Rechte“, Sascha Krolzig, und vom Berliner NPD-Mann Sebastian Schmidtke. Erst Anfang Oktober blamierte sich das Organisations-Team um Schmidtke bei dem Versuch ein Rechtsrock-Konzert in Thüringen zu veranstalten, das zum absoluten Reinfall wurde.

 

Friedensfest auf dem Ostritzer Marktplatz

Ein breites Bündnis der Ostritzer Bürger*innen will das Hass-Festival allerdings nicht unkommentiert lassen. Nur wenige Meter vom „Hotel Neißeblick“ entfernt, findet von Freitag bis Sonntag hauptsächlich auf dem Marktplatz ein Friedensfest statt, mit Redebeiträgen, Podiumsdiskussionen und Musik. Das Bündnis hofft mit einer breiten Mobilisierung, um den Neonazis zu zeigen, dass, auch wenn sie sich in die hinterste sächsische Provinz zurückziehen, nicht unbeobachtet und ihre Menschenverachtung nicht unwidersprochen bleiben.

 

 

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Sächsischer Förderpreis für Demokratie: Ein Danke an all die guten, mutigen Menschen in Sachsen

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Am 9. November 2018 wurden sieben sächsische Initiativen und eine Kommune mit dem Sächsischen Förderpreis für Demokratie 2018 ausgezeichnet.
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Sich in Sachsen für eine tolerante Gesellschaft zu engagieren ist nicht unbedingt einfach und braucht daher Unterstützung und Förderung. Deshalb wurde auch in diesem Jahr wieder der Sächsische Förderpreis für Demokratie vergeben. Der Hauptpreis ging dieses Jahr an „Agenda Alternativ e. V.“ aus Schwarzenberg, den Kommunenpreis erhielt die Zivilgesellschaft in Ostritz.

 

Von Kira Ayyadi

 

Manchmal scheint die politische Situation  in Sachsen zum Verzweifeln. Positive Schlagzeilen aus dem Freistaat sind selten zu hören. Vielmehr sorgen Justiz- und Polizei-Skandale à la „Hutbürger“ und „Pegizei“, dafür, dass Sachsen Schlagzeilen macht und Thema von bundesdeutschen Debatte wird. Und nicht zuletzt trägt die rassistische und rechtspopulistische Pegida-Bewegung seit inzwischen vier Jahren dazu bei, dass Sachsen bundesweit ein Image als Hochburg des Rechtsextremismus anhängt. Und in der Tat scheint der gesellschaftliche Rechtsruck in keinem anderen Bundesland derart weit vorangeschritten zu sein wie im Freistaat Sachsen.

Pegida und Co., das ist die eine Seite von Sachsen. Auf der anderen Seite gibt es sehr engagierte und mutige Menschen, die sich für Demokratie und Menschlichkeit einsetzten. Nur leider schenkt die Öffentlichkeit ihnen in der Regel zu wenig Beachtung. Am geschichtsträchtigen 9. November wurde diesen Menschen in der Semper Zwei in Dresden ein ganzer Abend gewidmet. Hier wurde ihnen bei der Verleihung des Sächsischen Förderpreises für Demokratie für ihr herausragendes Engagement trotz schwieriger Bedingungen gedankt. Der Sächsische Förderpreis für Demokratie wird seit 2007 verliehen. Vergeben wird er durch einen Verbund von Stiftungen: Der Amadeu Antonio Stiftung, der Freudenberg Stiftung, der Sebastian Cobler Stiftung, der Cellex Stiftung und der Dirk Oelbermann Stiftung.

 

„Der beste Verfassungsschutz, das sind die Menschen, die jeden Tag für die Verfassung kämpfen“

Zum 80. Jahrestag der Novemberpogrome, in einer Zeit, in der der Antisemitismus auch in Deutschland wieder neue, erschreckende Formen annimmt, gilt es mehr denn je, die Erinnerungen wach zu halten und der Opfer von Ausgrenzung und Hass zu gedenken – und zu verhindern, dass sich solche Ereignis wiederholen können. Wie geht das? Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler meinte in seiner Laudatio: Durch mehr “Verfassungsschützer*innen”, „denn der beste Verfassungsschutz, das sind die Menschen, die jeden Tag für die Verfassung kämpfen.“ Und so stand dieser Abend ganz im Zeichen von Menschen, die durch ihr Engagement Mut machen und nicht aufgeben, für eine tolerante Gesellschaft einzustehen.  

 

Engagement gegen Rechtsextremismus im Erzgebirgskreis

Der mit 5.000 Euro dotierte Hauptpreis ging an diesem Abend an den Verein „Agenda Alternativ e. V.“ aus Schwarzenberg. Dieser Verein bringt mit dem Festival „Stains in the sun“ nicht nur Musik in eine strukturschwache Region im Erzgebirge, er organisiert auch jede Menge Angebote zur politischen Bildung, jedoch ohne mahnendem Zeigefinger, sondern vielschichtig und bunt. „Agenda Alternativ“ bestärkt junge Menschen, dass sie nicht alleine sind mit ihrer Haltung gegen Rassismus und für eine tolerante Gesellschaft. Gerade im Erzgebirge, wo es eine große und aktive Neonazi-Szene gibt, ist diese praktische politische Bildung umso wichtiger.

 

Kommunenpreis für Ostritz

Der Kommunenpreis ging in diesem Jahr an die Stadt Ostritz und das internationale Begegnungszentrum St. Marienthal. Mit Friedensfesten und einem Friedenslauf demonstrierte die Kleinstadt ihre Abneigung gegen gleichzeitig stattfinde Neonazi-Groß-Veranstaltungen im Ort. Große Teile der Ostritzer Zivilgesellschaft machten den Rechtsextremen klar, dass sie weder in Ostritz noch sonst wo mit ihrer ausgrenzenden und menschenverachtenden Ideologie willkommen sind.  

 

Damit nicht irgendwann Brandsätze fliegen

Der Schulpreis ging in diesem Jahr an „Lauter Leise e.V. Kunst und Demokratie in Sachsen“. Dieser Leipziger Verein bietet Lesungen, Schreibwerkstätten und Literarturwettbewerb für Schüler*innen an. Mit Worten und Sätzen suchen diese engagierten Menschen nach Stimmungen und Gefühlen der Schüler*innen, damit nicht irgendwann Brandsätze fliegen, wenn sie nicht mehr weiter wissen mit ihrem Hass, auf der Suche nach Schuldigen.

 

Anerkennungspreise

Auch vier Anerkennungspreise wurden an diesem Abend verliehen. Sie gingen an:

  • Brückenbauer Chemnitz e.V.“, einer Anlaufstelle für Geflüchtete in Chemnitz,
  • „CSD Pirna e.V.“, der ein Begegnungszentrum zur Förderung der Akzeptanz sexueller und gesellschaftlicher Vielfalt gegründet hat, da es immer noch Safespaces für LGBTQ in Sachen braucht,
  • die „Refugee Law Clinic Leipzig e.V.“, die nicht nur Geflüchteten mit ihrer rechtlichen Expertise sondern auch Berater*innen und Übersetzer*innen zur Seite stehen,
  • den Rom*nija-Verein „Romano Sumnal e.V.“, der Aufklärungsarbeit zur Lebenswirklichkeit von Sint*eza und Rom*nija in Sachsen leistet.  

 

Wenn Sie demokratische Strukturen in Sachsen unterstützen wollen, können Sie dies mit einer Spende an die Amadeu Antonio Stiftung tun: Ihr Geld kommt Projekten wie den ausgezeichneten zugute, die vor Ort jeden Tag wichtige Arbeit leisten.

https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/spenden-und-stiften/online-spenden/#result

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Überraschend wenig Protest bei Merkelbesuch in Chemnitz

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Demonstrierende in Chemitz.
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T. Mönch

Am vergangenen Freitag besuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel Chemnitz, um sich selbst ein Bild von der Stadt zu machen in der es seit dem Tod von Daniel H. zu rassistischen Demonstrationen kommt. Dabei besuchte sie das lokale Basketballteam und traf sich mit Leser*innen der lokalen Zeitung. Gegen den Besuch organisierten rechte Gruppen Demonstrationen, konnten damit aber nicht an die Mobilisierungserfolge aus der Anfangszeit anknüpfen.

 

Von Tim Mönch

 

Während die Wagenkolonne der Bundeskanzlerin am Freitagabend aus der Richard-Hartmann-Halle rollte, standen die Teilnehmer*innen des rechten Protestes zwar nur wenige Meter entfernt, doch waren sie so sehr mit den verschiedenen Redner*innen beschäftigt, dass niemand die Abreise mitbekam. Den Aufrufen der extrem rechten „Bürgerbewegung Pro Chemnitz“ und des Neonazis Sven Liebich aus Halle waren etwa 1000 Teilnehmer gefolgt. Darunter Neonazis, Verschwörungstheoretiker*innen und „besorgte Bürger“ von rechten Heimatvereinen aus dem gesamten Bundesgebiet. Die befürchteten Massen, die Anfang September nach dem Tod von Daniel H. am Rande des Chemnitzer Stadtfestes durch die Straßen zogen, blieben diesmal aber aus. Und das obwohl „Pro Chemnitz“ im Vorfeld bundesweit mobilisiert hatte. Besonders rechte Heimatvereine und rassistische Bürgerinitiativen hatten für die Veranstaltung geworben. So trat bei der Kundgebung neben den regelmäßigen Rednern Martin Kohlmann (Pro Chemnitz) und Thomas Witte (Heimattreue Niederdorf) auch Hans-Christoph Bernd vom rassistischen Bündnis „Zukunft Heimat“ aus Cottbus auf. Außerdem zeigten sich auch einzelne Gruppen wie „Flöha sagt Nein“ oder „Roßwein wehrt sich“, die sich im Rahmen der rassistischen Proteste gegen die Unterbringung von Geflüchteten gegründet hatten. Mit besonders menschenverachtenden Verschwörungstheorien fiel eine Rednerin aus Tschechien auf, die Angela Merkel als die Nachfolgerin Adolf Hitlers bezeichnete.

 

Extrem rechte Satireshow

Ähnliche Ansichten zeigten auch die Teilnehmer*innen der bereits am Nachmittag vor dem Chemnitzer Hauptbahnhof gestarteten Demonstration um den Neonazi Sven Liebich. Dieser hatte zur pseudosatirischen Veranstaltung „Merkel Jugend“ aufgerufen, bei der Symbole aus der NS-Zeit in auf Merkel abgeänderte Weise dargestellt werden und ein vermeintlicher Führerkult um die Bundeskanzlerin herbeifantasiert wird. T-Shirts die an die Hakenkreuzfahnen angelehnt waren, wobei das Hakenkreuz durch die „Merkelraute“ ersetzt wurde und mit dem Motto „Geil Merkel“ versehen waren, wurden jedoch von der Polizei konfisziert. Neben Liebich, der auf seiner Website T-Shirts und Flyer mit rechten Parolen verkauft, trat auch der Münchner Verschwörungstheoretiker Hendra Kremzow als Redner auf. Wobei jedoch nicht alle Teilnehmer*innen die „satirischen“ Reden verstand.

 

Merkel spricht mit Chemnitzer Bürger*innen

Während auf der Straße die rechten Demonstrationen liefen, sprach Angela Merkel in der Chemnitzer Hartmannfabrik mit Leser*innen der Lokalzeitung „Freie Presse“, über deren alltägliche Probleme und ihre Sicht auf die Geschehnisse in Chemnitz. Erwartbar oft kam dabei auch das Thema Flüchtlinge zur Sprache. Bereits am Vormittag hatte die Kanzlerin im Rahmen eines durchgetakteten PR-Termins zwei Jugendmannschaften der Basketballer „Chemnitz 99ers“ besucht. Mit den Spielern und Trainern des Vorzeigebeispiels gelungener Integration wurden Gespräche geführt, nachdem sich Merkel einen Eindruck des Trainings verschafft hatte.

 

Quelle: Tim Mönch

Neben den rechten Veranstaltungen und dem Besuch der Kanzlerin gab es zwei weitere Kundgebungen. Das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ hatte am Rande des „Merkeljugend“-Aufmarschs eine Mahnwache gegen die rassistischen Zustände in der Stadt organisiert. Zudem fand die Aktion „Tatort Rassismus“ statt, bei der Bilder von Orten rassistischer Gewalt in Chemnitz gezeigt wurden. Das breite Bündnis, das die Kundgebung organisiert hatte, wollte damit auf die lange Historie rechter Gewalt in Chemnitz hinweisen und eigene Inhalte vermitteln, statt sich an den langanhaltenden rechten Aufmärschen abzuarbeiten.

Wie sich diese in Chemnitz weiter entwickeln bleibt spannend zu beobachten. Zwar gehen jeden Freitag immer noch mehrere hundert Menschen bei den Demonstrationen von „Pro Chemnitz“ auf die Straße, doch „nur“ 1.000 Teilnehmer an einem Tag, an dem der in ihren Augen Grund allen Übels in der Stadt ist, könnte ein Zeichen der nachlassenden Mobilisierungsfähigkeit sein.

 

Weitere Bilder von Tim Mönch

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Neonazi-Festivals im ländlichen Raum: Eine Bürgerschaft geht in die Offensive

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Seifenblasen auf dem Friedensfest in Ostritz im April
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Wie geht eine Gemeinde damit um, wenn sie von Neonazis überrannt wird? Eine Möglichkeit ist: wegducken und wegfahren. Eine andere Möglichkeit ist: Paroli bieten. Genau das hat die Ostritzer Zivilgesellschaft getan, und sie tut es bis heute. 

 

Von Kira Ayyadi

 

„Ich kenne die Menschen hier, ich weiß, wie sie sind, und ich möchte, dass niemand Angst haben muss, wenn Nazis hier irgendeine Show abziehen. Dem stellen wir uns gemeinsam entgegen. Wir halten zusammen – so wie jetzt gerade.“

So Michael Kretschmer (CDU), Landesvater aus Sachsen, am Freitag, den 20. April 2018, von einer kleinen Bühne auf dem Marktplatz der 2.300-Einwohner-Stadt Ostritz. Von Freitag bis Sonntag findet hier ein Friedensfest statt. Es gibt ein Festzelt mit Reden und Musik, es wird auch getanzt. Einige Buden versorgen die Bürger*innen mit Currywurst, Pommes, Cola, Kaffee und Bier. Auf einer Hüpfburg und beim Kinderschminken amüsiert sich das junge Publikum. In einem arabischen Kaffeezelt können sich die Besucher*innen entspannen und die Füße hochlegen. Immer wieder fliegen riesige glitzernde Seifenblasen über die Köpfe der Menschen hinweg.

Auf dem Marktplatz scheint die Stimmung an diesem Wochenende ausgelassen: Man unterhält sich, lacht und diskutiert. Doch das Hauptthema ist der Anlass des Friedensfests. Denn nur wenige Meter entfernt feiern rund 1.100 Neonazis an diesem Wochenende Adolf Hitlers 129. Geburtstag mit einem Rechtsrock-Konzert. Die rechtsextremen Besucher*innen kommen aus allen Teilen Deutschlands und dem europäischen Ausland angereist.

 

Wie umgehen mit großen Rechtsrock-Konzerten? Ostritz macht es vor

Wie geht nun eine Gemeinde damit um, wenn sie von Neonazis überrannt wird? Eine Möglichkeit ist: wegducken und wegfahren. Eine andere Möglichkeit ist: Paroli bieten. Genau das hat die Ostritzer Zivilgesellschaft getan, und sie tut es bis heute.

Als Melanie Kottek erfuhr, dass in Ostritz ein Neonazi-Festival stattfinden soll, war ihr erster Gedanke, dass das nicht sein dürfe und man unbedingt etwas machen müsse. Gemeinsam mit vielen engagierten Bürger*innen, dem Internationalen Begegnungszentrum St. Marienthal und der Stadt überlegten sie, was sie dem Neonazi-Konzert entgegen setzen können. „Mir war es wichtig zu zeigen, wie Ostritz wirklich ist. Das war nicht nur mir, sondern auch noch vielen anderen Bürgern wichtig, so dass sich daraus ein Friedensfest entwickelte.“ So eine Veranstaltung dürfe einem schließlich nicht egal sein, meint Kottek, die mittlerweile Teil des Organisations-Teams der Friedensfeste ist.

 

Friedensfest gegen braune Geburtstagsfeier

Seit zehn Jahren ist Marion Prange die Bürgermeisterin von Ostritz. Als sie im Dezember 2017 erfuhr, dass sich Neonazis ihre Stadt ausgesucht hatten, um hier Hitlers Geburtstag zu feiern, zögerte auch sie nicht lange: "Für uns war schnell klar, dass wir das Neonazi-Festival nicht unkommentiert stehen lassen wollen", so die Bürgermeisterin mit dem freundlichen Gesicht. Sie griff zum Telefon und schloss sich mit Vereinen, dem nahegelegenen Kloster St. Marienthal und dem sächsischen Ministerpräsidenten kurz. Sie sprach auch mit Menschen aus dem thüringischen Themar, wohin im Sommer 2017 über 6.000 Neonazis aus ganz Europa zu einem Konzert angereist waren. Als die 3.000 Einwohner-Gemeinde damals von Neonazis sprichwörtlich überrannt wurde, war Themar darauf nicht vorbereitet. Dass sollte in Ostritz anders laufen.

 

 

„Wir wollen uns nicht von denen den Alltag aufdiktieren lassen. Wir werden diese Menschen aus unserer Gesellschaft nicht ausgrenzen können, wir werden lernen müssen, damit umzugehen. Wichtig ist, dass wir zusammenhalten. Aber solange Leute da sind, die sich engagieren wollen, überlässt man den Neonazis immerhin nicht das Feld.“          

Marion Prange, Bürgermeisterin

 

Zwar unterzeichnete Marion Prange die "Oberlausitzer Erklärung", in der 40 Bürgermeister*innen der Region das Rechtsrock-Event verurteilten, verhindert werden konnte es jedoch nicht. Und so reisten an jenem Wochenende im April über tausend Neonazis aus dem ganzen Bundesgebiet und teilweise aus dem europäischen Ausland nach Ostritz. Der Landesvorsitzende der NPD Thüringen, Thorsten Heise, ist der Veranstalter des "Schild und Schwert Festivals", das kaum zufällig mit SS-Festival abgekürzt wird.

SS-Festival in Ostritz Den angereisten Neonazis wurde die komplette Bandbreite der rechten Erlebniswelt geboten: Von rechtsextremen Hardcore-Bands, einer eigenen Tattoo-Convention, Kampfsport-Shows, rechtsextremem Merchandise, Redebeiträgen bis hin zu Balladen-Konzerten. Einige  der Bands kommen aus dem extrem gewaltbereiten Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“ (Blut & Ehre). Auch Personen aus dem Unterstützerkreis des mordenden terroristischen NSU (Nationalsozialistischen Untergrunds) waren an diesem Wochenende vor Ort. Das Gelände wurde von Sicherheitskräften einer sogenannten „Arischen Bruderschaft“ bewacht. Nicht verwunderlich also, dass anwesende Journalist*innen so einige Hitlergrüße dokumentierten. Das zweitägige Hass-Event folgt dem Trend zu immer größeren und professionelleren Veranstaltungen dieser Art, die über die klassische Kundgebung im öffentlichen Raum mit ein paar Rechtsrock-Acts hinausgehen. Solche menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Veranstaltungen dienen zum einen der Finanzierung der Szene, beispielsweise um vor Gericht stehende Neonazis finanziell zu unterstützen, zum anderen der Rekrutierung und Vernetzung. Anfang November findet hier in Ostritz die zweite Auflage des SS-Festivals statt. Veranstaltungsort für die Rechtsextremen ist das „Hotel Neißeblick“, direkt an der polnischen Grenze. Am 13. Oktober 2018 fand im „Hotel Neißeblick“ wieder eine Neonazi-Veranstaltung statt – das völkisch-faschistische Kampfsport-Event „Kampf der Nibelungen“. Auch dieses Event wurde von bekannten Neonazis organisiert. Den Ordnerdienst vor den Toren des Hotels machte unter anderem ein enger Vertrauter der verurteilten NSU-Terroristin Beate Zschäpe inne. Etwa 700 Rechtsextreme reisten an diesem Wochenende nach Ostritz. Während sich die durchtrainierten Neonazis im inneren des Hotel-Geländes auf ihre Kämpfe vorbereiteten, waren auch die Ostritzer*innen sportlich. Auf dem Marktplatz konnten sich Bürger*innen, die den Neonazis nicht kommentarlos ihren Ort überlassen wollen, an einem Friedenslauf beteiligen. Für jede Runde um den Platz wurde Geld an eine Neonazi-Aussteiger-Organisation gespendet. Läufer*innen aller Generationen drehten an jenem Tag so viele Runden, wie sie nur konnten. Sie trugen Schilder mit der Aufschrift „Ich laufe für ein Neo-Nazi Aussteigerprogramm!“

 

Raus aus der Defensive, rein in die Offensive

Wenn Neonazis beschließen, in aller Öffentlichkeit ein Großevent zu veranstalten, beginnt ein Kampf um Bilder und Botschaften: Chöre und Reggae gegen Neonazi-Balladen und Rechtsrock, bunte Plakate und Luftballons gegen NS-verherrlichende Shirt-Aufdrucke und Neonazi-Tattoos, ein demokratischer Friedenslauf gegen faschistischen Kampfsport. So auch in Ostritz. Sobald klar ist, dass ein Neonazi-Event nicht verhindert werden kann, geht es darum, eine Gegengeschichte zu erzählen – den Rassist*innen und Antisemit*innen nicht das Feld zu überlassen. Doch das geht nur, wenn die Bevölkerung bereit ist, diese Geschichte mit zu erzählen.

„Unsere Gesellschaft lebt nun mal von den Menschen, die diese aktiv mitgestalten. Meckern, Schimpfen oder Gleichgültigkeit wäre sicher der einfachere Weg, aber nicht der bessere!“ Melanie Kottek vom Organisationsteam der Friedensfeste

Offizieller Veranstalter der Gegenproteste ist das Internationale Begegnungszentrum St. Marienthal (IBZ). „Unsere Aufgabe ist es, die Begegnung von Menschen unterschiedlicher Religionen, Nationen und Weltanschauungen zu fördern“, so Dr. Michael Schlitt, Leiter des IBZ, „und das, was im ›Hotel Neißeblick‹ stattfindet, ist das genaue Gegenteil. Hier heißt es ›Grenzen dicht‹, ›Ausländer raus‹. Hier zählt alleine die sogenannte ›arische Rasse‹, alles andere ist in deren Augen minderwertig.“ Die Menschen hingegen, die sich während der Friedensfeste und während des Friedenslaufs auf dem Markt treffen, stehen für genau das Gegenteil: für Weltoffenheit, Toleranz und für die Demokratie. Genau wie für Marion Prange und Melanie Kottek war auch für das IBZ sofort klar, dass sie den Hass-Events etwas entgegensetzen wollen.

 

Ostritz zeigt, wie ein Miteinander geht

Michael Schlitt ist es wichtig zu betonen, dass das IBZ die Veranstaltungen nicht alleine stemmt, vielmehr habe ein großes engagiertes Team von Ostritzer*innen die Feste auf die Beine gestellt. Im Organisations-Kernteam bereiten etwa 15 Personen die Friedensveranstaltungen Monate vorher vor. Je näher die Veranstaltungen heranrücken, desto größer werde das Team, erzählt Schlitt. Mit 18 bis 70 Jahren bringe sich beinahe jede Generation im Organisations-Team mit ein. Hier wirken unter anderem Unternehmer*innen, Rentner*innen, Schüler*innen, Lehrer*innen und Angestellte mit. Die Friedensfeste werden also nicht von einer Institution gestemmt, sondern von einer breiten, bunten Zivilgesellschaft. Dass sich Einwohner*innen einer Kleinstadt so zusammenfinden und überlegen, wie sie positive Signale für ein tolerantes Zusammenleben aussenden können, ist in der gegenwärtigen polarisierten Situation leider nicht selbstverständlich. Umso dringender ist es, dies zu erzählen und herauszustellen.

Insgesamt beteiligten sich an dem Friedensfest im April über 50 Einrichtungen, Verbände und Stiftungen, auch die beiden großen Kirchen. Über 500 Ehrenamtliche engagierten sich an diesem Wochenende und boten den Neonazis die Stirn. Melanie Kottek war beeindruckt von der Resonanz, die das Friedensfest hervorrief, aber auch von all den engagierten Bürger*innen, Vereinen und Nachbar*innen – letztendlich von der ganzen Region, die hier an einem Strang zog. Und auch die Bürgermeisterin meint, dass das Ergebnis des Friedensfests so niemand erwartet hätte. Den Neonazis stellen sich an diesem Wochenende im April allein bei der Lichterkette rund 1.000 engagierte Bürger*innen entgegen. Insgesamt kamen 3.000 Menschen zu dem friedlichen Protest und gaben den Neonazis so zu verstehen, dass sie weder hier noch andernorts willkommen sind.

„Wir haben alle ein gemeinsames Ziel: Wir wollen es den Neonazis hier so ungemütlich wie nur möglich machen.“     

Marion Prange, Bürgermeisterin

 

Auf den demokratischen Veranstaltungen gegen die Neonazis geht es um ein Miteinander, betont Schlitt. Sie sollen eine Plattform sein, an der sich Menschen aus der Mitte der Gesellschaft beteiligen können, um so Haltung zu zeigen. In den Rechtsextremen, die nun regelmäßig in Ostritz Veranstaltungen durchführen wollen, sieht Michael Schlitt eine Bedrohung, die an das düsterste Kapitel der deutschen Geschichte erinnert:

„Wir hatten ja in den 1930er Jahren schon einmal eine ähnliche Situation. Der Nationalsozialismus ist nicht deswegen so erfolgreich gewesen, weil seine Ideologie so sehr umjubelt wurde. Der Nationalsozialismus ist damals an der Schwäche der Demokraten hochgekommen, weil nicht genügend Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte der Gesellschaft von ihren Sofas aufgestanden und für die Demokratie eingestanden sind. Das darf uns nie wieder passieren!“

Dr. Michael Schlitt vom IBZ

 

Wir dürfen uns heute nicht darauf verlassen, dass schon irgendwer irgendetwas gegen die menschenfeindliche und ausgrenzende Ideologie der Neonazis unternimmt, so Schlitt. „Wirklich alle Menschen sind jetzt dazu aufgerufen, ein klares Zeichen gegen rechts zu setzen, ein klares Bekenntnis zur Demokratie, zur Meinungs- und Pressefreiheit abzulegen.“ Vor dem ersten Friedensfest im April gab es in der Ostritzer Bevölkerung sehr unterschiedliche Meinungen zu dem SS-Festival und dem Gegenprotest in Form eines Friedensfests. Einige meinten, man solle die Neonazis doch einfach feiern lassen, sie würden ja niemanden stören. Andere sagten, man solle die Ewiggestrigen nicht so wichtig nehmen, sonst bausche man sie künstlich auf. Wieder andere waren überzeugt, wenn das „Schild und Schwert Festival“ durch die Behörden genehmigt wurde, hätte schon alles seine Richtigkeit. Ähnliche Argumente habe man in den 1930ern hervorgebracht, als damals die Nazis immer mehr Einfluss bekamen, meint Schlitt grübelnd.

„Die damalige Situation kann man mit einem Schneeball vergleichen, den man noch hätte aufhalten können. Doch wenig später ist dieser Schneeball zu einer Lawine geworden, die niemand mehr stoppen konnte. So ernst ist die Lage auch heute. Wir müssen miteinander dafür kämpfen, dass so etwas wie damals nie, nie wieder passiert. Das ist unsere Aufgabe, und dafür müssen wir alle aus der Mitte der Gesellschaft zusammen aufstehen.“

Dr. Michael Schlitt vom IBZ

 

Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist dann erfolgreich, wenn er aus der Mitte der Gesellschaft kommt Schlitt findet, man dürfe es nicht den Linken allein überlassen, klare Kante gegen Rechtsextremismus zu zeigen, denn hier seien alle gefordert, parteiübergreifend. Bei vielen Ostritzer*innen war die Angst an dem Wochenende im April groß – vor den Neonazis, aber auch vor den angeblichen „Linksextremisten“: Auf der nur wenige Meter vom Friedensfest entfernten Lederwiese fand parallel ein Konzert der linken Initiative „Rechts rockt nicht“ und der Partei Die Linke statt. Einige Ostritzer*innen meinten damals, es würde mit dem Friedensfest bereits zu viel Aufsehens gemacht. Mit dem linken Konzert fürchteten sie zu allem Überfluss noch linke Krawall-Tourist*innen. Doch am 20. April 2018, zur Eröffnung des Friedensfests, fand dessen Schirmherr, Michael Kretschmer, ungewöhnlich klare Worte für die verunsicherten Bürger*innen: „Alle, die ihren Beitrag leisten können, sind uns willkommen.“ Und so schlenderten die Ostritzer*innen an diesem Wochenende zwischen beiden Veranstaltungen hin und her. Es fand ein reger Austausch statt. Melanie Kottek vom Organisationsteam glaubt, dass Ostritz beziehungsweise die ganze Region durch das Friedensfest im April näher zusammengerückt ist. Außerdem seien viele Bürger*innen für das Thema Rechtsextremismus sensibilisiert worden. Das macht sie auch daran fest, dass zum zweiten Friedensfest im November deutlich mehr Ostritzer*innen ihre Unterstützung angeboten haben. Die Strategie der Neonazis, in abgelegene kleine Provinz-Städte zu gehen, um hier ungestört ihrer menschenverachtenden Ideologie zu frönen, geht dank des außergewöhnlichen Engagements der Bürgerinnen und Bürger von Ostritz nicht auf. Ostritz zeigt mit seinem funktionierenden Netzwerk aus Zivilgesellschaft, Kommune und Land, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, das im besten Sinne anti-faschistische Engagement, dann erfolgreich ist, wenn es aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Die Ostritzer Friedensfeste machen Mut: Mit Engagement ist viel zu erreichen, auch in kleinen Gemeinden wie Ostritz mit ca. 2.300 Einwohner*innen.

„Das alles hier ist gewachsen wie ein kleines Pflänzchen. Ich hoffe, es wächst über die Stadtgrenzen hinaus.“

Marion Prange, Bürgermeisterin

 

Sächsischer Förderpreis für Demokratie 2018

Für ihr herausragendes Engagement wurde die Stadt Ostritz und das internationale Begegnungszentrum St. Marienthal 2018 mit dem Kommunenpreis des Sächsischen Förderpreises für Demokratie geehrt.

Seit 2007 ehrt der Sächsische Förderpreis für Demokratie alljährlich das Engagement der demokratischen sächsischen Zivilgesellschaft. Der Kommunenpreis wird seit 2014 vergeben. 56 Projekte und vier Kommunen konnten so in den letzten 10 Jahren mit dem Sächsischen Förderpreis für Demokratie ausgezeichnet werden. Insgesamt 771 Bewerbungen gingen in dieser Zeit ein – ein lebendiger Ausschnitt des vielfältigen Engagements in Sachsen für gelebte Demokratie. 2018 wird der Sächsische Förderpreis für Demokratie zum 12. Mal verliehen. Der Preis würdigt herausragendes Engagement von Initiativen und Kommunen gegen Rechtsextremismus, für Menschenrechte und eine demokratische Kultur in Sachsen. Insgesamt 78 Initiativen, Projekte und Kommunen bewarben sich oder wurden von Dritten für die Auszeichnung 2018 vorgeschlagen. Namhafte Laudator*innen würdigen das Engagement der Initiativen und Kommunen im Rahmen der Preisverleihung. Neben Mehmet  Daimagüler (2018) zählten dazu bisher unter anderen Sabine LeutheusserSchnarrenberger, Gesine Schwan, Heribert Prantl, Wolfgang Thierse, Stephan-Andreas Casdorff, Sonia Mickich, Petra Lidschreiber, Thomas Fischer, Anja Reschke und Esther Schapira. Der Sächsische Förderpreis für Demokratie 2018 wird ausgelobt von der Amadeu Antonio Stiftung, der Freudenberg Stiftung, der Sebastian Cobler Stiftung, der Cellex Stiftung und der Dirk-Oelbermann-Stiftung. 

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